Wann ee gesond ass, denkt een net (ze vill) u Krankheeten. Dat ass och gutt esou, well sos mécht een sech geckeg! Verschidde Krankheete gi reegelméisseg thematiséiert, wéi zum Beispill de Kriibs oder och ∂’Alzheimer. Anerer komme séier wéineg als Sujet an d’Press. Dësen Donneschdeg, 29. Februar ass zum Beispill den internationalen Dag vun de sougenannte seelene Krankheeten. Dorënner eng ganz eekeleg Krankheet, déi op den Numm A L S gedeeft gouf. Wat et domadder op sech huet, liest Dir hei ënnendrënner vun enger Fra déi selwer betraff ass, déi mat Courage hiren Alldag meeschtert an déi onbedéngt e Message wollt lassginn.
Ausgeliefert!!!
Mein Name ist Nathalie Scheer-Pfeifer. Ich bin die Vorstandsvorsitzende des Vereins Wäertvollt Liewen, der 2012 gegründet wurde. Ich bin verheiratet, Mutter und seit dem Jahr 2000 an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) erkrankt. Diese unheilbare Krankheit hat die Nervenzellen geschädigt, die meine Muskeln steuern, so dass ich quasi im eigenen Körper „lebendig einbetoniert“ wurde. Ich spüre zwar alles, aber ich kann mich nicht mehr bewegen. Reagieren kann ich nur durch Bewegungen mit den Augen und mit den Augenbrauen. Sprechen und schlucken geht schon lange nicht mehr. Ich werde über eine Magensonde ernährt und zudem künstlich beatmet. Alle Texte schreibe ich über meinen augengesteuerten Kommunikationscomputer.
Was passiert mit meinem Vertrauen in die Politik? Wenn man von der Unabhängigkeit mehr oder minder schnell zur kompletten physischen und sozialen Abhängigkeit gleitet, braucht man schon sehr viel Vertrauen in seine Mitmenschen und in die Gesellschaft, um nicht den Lebensmut zu verlieren. Sind soziale Sicherheit und Gesundheitswesen nicht der Inbegriff der Demokratie? Keiner von uns weiß, was das Schicksal ihm bereithält. Ob durch Krankheit oder Unfall, keiner hat die Garantie bis ins hohe Alter körperlich und geistig fit und selbstständig zu bleiben. Es könnte morgen, nächsten Monat oder in zehn Jahren jeden treffen.
Deshalb ist dieses Thema wichtiger als die Tatsache, welche Partei gerade am Ruder ist. Es kann auch Dich von jetzt auf gleich treffen. Ohne politische Hilfe sterben Betroffene oder (über)leben in Umständen, die keiner ertragen würde. Im Falle eines Falles gibt es die Option die gesetzliche verankerte Sterbehilfe zu beantragen. Wo fängt das persönliche Leben an lebenswert oder nicht mehr lebenswert zu werden? Die Parole „Liberté, Égalité, Fraternité“ ist seit der Französischen Revolution 1789 der Inbegriff einer selbstbestimmten und selbstbestimmenden Gesellschaft. Wo bleiben Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für chronisch kritisch kranke und/oder behinderte Menschen? Bezugnehmend auf die gesetzliche Regelung zur Euthanasie, drängt sich die Frage auf, wo die gesetzliche Regelung zur Unterstützung von Menschen mit chronisch kritischen Krankheiten und/oder behinderten Menschen bleibt, die ihr Leben in diesem Zustand in Würde und entsprechender Assistenz in ihrem Zuhause weiterführen möchten? Wäertvollt Liewen setzt sich dafür ein, dass Betroffene die Möglichkeit bekommen, zu wählen wie und wo sie ihr Leben, trotz Krankheit und/oder Behinderung, gestalten wollen, dies laut Umsetzung des Artikels 19 der UN-Behindertenrechtskonvention (Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft) und dem Artikel 15 (6) der luxemburgischen Verfassung (Jeder Mensch mit Behinderungen hat das Recht, alle Rechte gleichberechtigt zu genießen).
Natürlich hatte ich mir niemals mein Leben mit einer unheilbaren, tödlichen Krankheit wie ALS vorstellen können. Trotz allen Einschränkungen könnte ich heute mein Schicksal mit dieser Krankheit akzeptieren und ein erfülltes und glückliches Leben führen. Dies ist aber nur möglich, wenn die notwendige Unterstützung von der Gesellschaft gesichert ist., was aber nicht der Fall ist.
Unsere Gesellschaft täte gut daran, ihre Zukunft zu sichern, indem sie in allen Bereichen Nachhaltigkeit einbringt. Wie könnte man beispielsweise Kinderseelen stark machen für die Wirren des Lebens? Die Tabuisierung von Krankheiten, Behinderungen oder Beeinträchtigungen verhindert, dass die Pflege schwerstbehinderter und/oder -kranker Menschen als lehrreich sowohl für die Pflegenden wie auch für die Gesellschaft, erkannt wird. Jede demokratische Regierung sollte das Für und Wider all ihrer Entscheidungen abwägen. Wie könnte es verkehrt sein in die Zukunft aller ihrer Bürger zu investieren? Es zeichnet eine hochentwickelte Gesellschaft aus, dass sie achtsam mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, denn sie hängen vom Gutdünken der Gesellschaft ab und benötigen daher in besonderem Ausmaß Solidarität. Nie wieder darf eine bestimmte Gruppe Menschen von der Gesellschaft ausgegrenzt oder stigmatisiert werden. Unser familiäres Zusammenleben ist nach wie vor durch die Belastung der ALS nicht einfach und kostet immer noch viel Einsatz und Rücksichtnahme von jedem. Als unheilbar, tödlich erkrankter Elternteil möchte man seine Kinder und Hinterbliebenen nach seinem baldigen Tode gut abgesichert wissen. Von 2010 bis heute haben wir weit über 300.000€ zu meiner Pflege und zu den Personalkosten hinzugezahlt. Nicht, weil ich eine „Prinzessin auf der Erbse“ bin, sondern weil die staatliche Unterstützung einfach vorne und hinten nicht reicht. Nur wegen ihrer Liebe für mich ….
Seit der Pandemie hat sich zeitweise der Preis vom medizinischen Verbrauchsmaterial stark erhöht und war teils schwer zu finden. Wir hatten, beziehungsweise haben immer noch große Probleme, das Verbrauchsmaterial und Medikamente zu bekommen und zu bezahlen. In der häuslichen Intensivpflege sind Medikamente und das medizinische Verbrauchsmaterial essenziell für die Sicherheit der betroffenen Person. Ich war die erste invasiv Heimbeatmete Luxemburgs (2009), mit auf meinen Bedürfnissen geschulten Laienbetreuer und ich lebe immer noch!
Luxemburg kann heute immer noch kein funktionierendes Modell der Assistenz und der außerklinischen Intensivpflege für chronisch kritisch kranke Menschen vorzeigen. Dazu kommt noch, dass Hilfe zur Beatmung nicht zu den Aktivitäten des täglichen Lebens der Pflegeversicherung gerechnet wird, was die Organisation der Hilfe kompliziert und teuer macht. Invasiv Beatmete sind meistens unfähig, eine Beatmung die defekt oder einfach nur abgegangen ist, wieder einsatzbereit und angeschlossen zu bekommen. In einer Institution oder einer Wohngemeinschaft kann solch eine Situation lebensbedrohliche Risiken für Betroffene mit sich bringen, weil keine sofortige Einsatzbereitschaft von Pflegefachkräften, Ärzten und/oder speziell geschulten Assistenten Rund-um-die-Uhr möglich ist. Von lebenserhaltenden Technologien oder apparativer Überwachung abhängig, sind ärztliche oder pflegerische Interventionen erforderlich, deren genauer Zeitpunkt und deren genaues Ausmaß im Voraus nicht bestimmt werden können. Dazu kommt auch noch die Unterfinanzierung der persönlichen Assistenz. Kann es in einer Demokratie vorkommen, dass dem Einzelnen so viel zugemutet wird?
Die Anthropologin Margaret Mead war der Auffassung, dass ein verheilter Oberschenkelbruch der Ursprung der Zivilisation bedeutete. Jemand oder eine Gemeinschaft empfand Anteilnahme und entwickelte Fürsorge für die verletzte Person und beschützte, ernährte und versorgte sie mit Wasser während der Genesungszeit. Oft kommt dann die Frage auf, ob so ein Aufwand und so viel Geld für eine einzelne Person berechtigt sein kann! Als ich den Film „Saving Private Ryan“, nach einer tatsächlichen Gegebenheit sah, kamen mir so viel Opfer nur um einen einzigen Soldaten nach Hause zu holen, erst unpassend vor. Erst als ich mich selbst in einem völligen Zustand des physischen, psychischen, sozialen, finanziellen, gesellschaftlichen Ausgeliefertseins befand, spürte ich den Druck und die Stigmatisierung der Gesellschaft. Aber ich verspüre auch einen immer stärker werdenden Wunsch nach einer ethisch korrekten und humanistischen Gesellschaft.
Erkrankt man an einer chronischen kritischen Krankheit, hängt das Leben oder Sterben viel von der Hilfe und Pflege ab, die man erhält oder nicht erhält. Chronisch kritisch kranke Menschen brauchen mutige Politikerinnen und Politiker. Wir brauchen Politiker, welche mit gesundem Menschenverstand für neue Lösungen offen sind, auch unkonventionelle Lösungen auszuprobieren und aktiv daran arbeiten, diese umzusetzen. Wir brauchen Politiker, die unser Gesundheitssystem an die Bedürfnisse der Betroffenen anpassen und nicht umgekehrt. Betroffene sind in allen Bereichen vollkommen abhängig von der Gesellschaft, in der sie leben, und viele gesellschaftliche Veränderungen und/oder Bewegungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensqualität dieser Menschen. Das Leben wird für die Betroffenen in einen Standby-Modus versetzt. Einerseits weil der Betroffene sich selbst erst mal mit seinem Schicksal auseinandersetzen muss. Wie stark oder schwach diese innere Auseinandersetzung uns fesselt oder sogar lähmt, wird von der persönlichen Fähigkeit zur Resilienz mitbestimmt. Andererseits muss der Betroffene auch noch mit der Stigmatisierung durch die Gesellschaft klarkommen.
Es bleibt nach wie vor immer noch sehr viel zu tun…
Kommt wir packen es zusammen an!
Denn, so Friedrich Wilhelm Raiffeisen: “Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das schaffen viele.”
Nathalie Scheer-Pfeifer