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Gesellschaft

Frank Bertemes: Neue EU – Grundrechte und die nationale Verfassungsdebatte 

Frank Bertemes: Neue EU – Grundrechte und die nationale Verfassungsdebatte
Image par Gerd Altmann de Pixabay

„In unserem gemeinsamen Europa ist es keine innere Angelegenheit der einzelnen Staaten mehr, wenn Länder Freiheiten beschneiden und die Grundrechte der Bürger missachten.“

Joachim Gauck

Neue Wege gehen, sich den veränderten Umständen anpassen, sich weiterentwickeln. Das gilt ebenfalls für die Europäische Union. Am 9. Mai, dem Europatag, einem Feiertag für die Völker der EU, gedenken wir jedes Jahr, dass wir in Europa in Frieden und Einheit leben. Für jeden EU – Verfechter, der durchaus kritisch sein darf, ja muss, ein wichtiger Feiertag. Zu den erwähnten „neuen Wegen“ gehören die „wegweisenden“ europäischen Verfassungen, die (siehe unser Land) vor oft langer Zeit geschrieben wurden. Die längst nicht mehr aktuellen Texte kannten weder das Internet mit seiner diversen Datenproblematik, noch die Klimaveränderungen oder die Probleme der Globalisierung usw. und müssten daher sowohl national und eben auch auf EU – Niveau dem Zeitgeist entsprechend angepasst werden.

 

Dies findet bestimmt nicht nur der Schriftsteller und Jurist Ferdinand von Schirach, der in seinem diesbezüglichen aktuellen, sehr zu begrüßenden Vorstoß allen EU-Bürgern ein Anrecht auf eine gesunde Umwelt, faire Produkte und den Schutz vor Manipulation durch Digitalkonzerne (Google, Facebook usw.  lassen einmal mehr grüßen!) garantieren will. In seinem neuesten Buch „Jeder Mensch“ will Ferdinand von Schirach, einer der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart, der breiten Öffentlichkeit seinen bestens durchdachten Vorschlag für die neuen europäischen Grundrechte vorstellen. Mehrere Staats– und Europarechtler haben ihn bei der konkreten Formulierung unterstützt. Diese Grundrechte sind in sechs Artikeln formuliert:

 

Artikel 1 – Umwelt: Jeder Mensch hat das Recht, in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.

 

Artikel 2 ­­– Digitale Selbstbestimmung: Jeder Mensch hat das Recht auf digitale Selbstbestimmung. Die Ausforschung oder Manipulation von Menschen ist verboten.

 

Artikel 3 ­– Künstliche Intelligenz: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihn belastende Algorithmen transparent, überprüfbar und fair sind. Wesentliche Entscheidungen muss ein Mensch treffen.

 

Artikel 4 – Wahrheit: Jeder Mensch hat das Recht, dass Äußerungen von Amtsträgern der Wahrheit entsprechen.

 

Artikel 5 – Globalisierung: Jeder Mensch hat das Recht, dass ihm nur solche Waren und Dienstleistungen angeboten werden, die unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden.

 

Artikel 6 – Grundrechtsklage: Jeder Mensch kann wegen systematischer Verletzungen dieser Charta Grundrechtsklage vor den Europäischen Gerichten erheben.

 

Ist es eigentlich verwunderlich oder gar abwegig, wenn Bürgerinnen und Bürger den verfassungsrechtlichen Rahmen, in dem sie leben, selbst bestimmen wollen? Setzt man die heuer seit Jahren andauernde Debatte um „unsere“ Verfassung im Ländchen in diesen Gesamtkontext, einem Trauerspiel, das sich seit gefühlten Ewigkeiten im Dauerstreit der Verfassungsexperten diverser Politcouleur hierzuländchen abspielt, einer Verfassungstextänderung, die sich mehr als aufdrängt, so muss man sich als kritischer Bürger im Zusammenhang  mit den fundamentalen demokratischen, gar (leider wenig gepflegten) basisdemokratischen Grundrechten des Wahlvolkes und ihres Mitspracherechts, doch gewisse Fragen stellen. Denn wieder einmal hat sich die politische Klasse, die dieses Reizthema der (basis-)demokratischen Mitbestimmung des Wahlvolkes im Kontext der Änderung des Grundgesetzes tunlichst umgehen will, kaum mit Ruhm bekleckert. Das indem sie, im Klartext, das faktisch doch eigentlich vorgesehene Referendum vermeiden will – das wohl ob der politischen Dummheit und entsprechender demokratischer Inkompetenz des tumben Wahlvolkes, das eh nichts von einem Grundgesetz versteht, oder? Man will uns demnach von oben herab in mehr als fragwürdigem Demokratieverständnis für unmündig erklären. So einige wollen weder etwas von Bürgerbeteiligung, fundamentalen bürgerlichen Grundrechten in dieser V-Frage wissen, eine Haltung, die ausgerechnet eine DP-Abgeordnete (demokratische Partei) als Co-Berichterstatterin der erwähnten Verfassungstextänderungen auch noch schamlos und in naiver Tonart auf RTL bestätigte. Man fürchtet die „vox populi“, das tumbe Wahlvolk, das nicht einmal ein Mitspracherecht für das Grundgesetz haben soll, meint darf! Wir, das Wahlvolk, sind eines Referendums unfähig, das wurde klar und deutlich wiederholt. Zu dumm, total unqualifiziert oder zu kritisch!  Hat das Volk wieder einmal zu kuschen? Ach ja – man will uns danach, nach dem Votum in mehreren Teilen (anscheinend soll diese Veranstaltung gleich vier Mal im Parlament stattfinden) gnädigerweise über den Inhalt „informieren“. Und danach den Text so schnell wie möglich wieder für lange Zeit schubladisieren, oder? Doch wahre Demokratie liest sich sehr wohl anders! Wo bleibt die Opposition zu diesem Blödsinn?

 

Nach diesem Exkurs in die nationale Verfassungsdebatte, zurück zu den thematisierten EU-Grundrechten. Es gibt unzählige Petitionen, Initiativen oder Kampagnen, die sich mit eben diesen Problemen beschäftigen. Nur: ohne wirkliche Grundrechtsbasis gilt, juristisch betrachtet, gar nichts. Die Menschenrechtskonvention kennt beispielsweise nicht einmal den Begriff „Umwelt“. In diesen Zusammenhang passt übrigens ein rezentes Urteil des Europäischen Gerichtshofes, der eine Klimaklage von zehn deutschen Familien abgewiesen hat. Das Gericht konnte jedoch in dem angeführten Prozess nicht anders entscheiden, weil ein entsprechendes gesetzliches Recht eben überhaupt noch nicht existiert. Wichtig wäre deshalb, dass die erwähnten neuen Grundrechte geltendes, effektives Recht in ganz Europa werden. Und dazu bedarf es eines europäischen Verfassungskonvents. Als Europäischer Konvent (von lateinisch conventus ‚Zusammenkunft‘) werden der „Grundrechtekonvent“ (1999/2000), der „Verfassungskonvent“ (2002/2003) und der Konvent für eine Reform der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion bezeichnet. Der erste europäische Konvent, der „Grundrechtekonvent“ erarbeitete zwischen Dezember 1999 und Oktober 2000 die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der Europäische Rat (meint die Versammlung der 27 Staats- und Regierungschefs) kann ihn heute mit der Hälfte der Stimmen seiner Mitglieder nach Anhörung des EU-Parlaments einberufen. Weil aber die Staats- und Regierungschefs nur das tun, was ihre Parlamente wollen, und diese das, was die Bürgerinnen und Bürger fordern, sind die hier formulierten neuen Grundrechte eine für uns alle wichtige Forderung. Nur: Die Politik scheint mit sechs der größten Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr zurecht zu kommen: Umweltzerstörung, Digitalisierung, Macht der Algorithmen, systematische Lügen in der Politik, ungehemmte Globalisierung und Bedrohungen für den Rechtsstaat. Es ist demnach in der Tat an der Zeit, dass ein Verfassungskonvent die Charta der Grundrechte der EU anpasst.

 

Man vergesse bitte nicht: Die Ideen der Aufklärung, die Würde des Menschen, die Gleichheit und Freiheit, der nun schon 75 Jahre dauernde Frieden zwischen den Ländern der EU, das alles ist, so auch Ferdinand von Schirach, sehr fragil und kann leicht wieder zerstört werden.

 

Dürfen wir das zulassen?

Frank Bertemes

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