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Gesellschaft

Marc Lentz: Hautevolee im Schnee, das WEF und unsere Zukunft 

Marc Lentz: Hautevolee im Schnee, das WEF und unsere Zukunft
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Dans les profondeurs du bois les oiseaux sont joyeux !                                                                                                            Loin des fracas du monde pins et bambous sont purs

(aus: Junichirô Tanizaki, Le pont flottant des songes)                                                     

                                                                                                                                                                                                                                          

Im Januar verwandelt sich das beschauliche Alpenstädtchen Davos, im Kanton Graubünden, stets für ein paar Tage in eine Festung. Dann findet hier die Tagung des „World Economic Forum“ (WEF) statt. Die Teilnehmerliste liest sich immer wie ein ‘Who’s who‘ der globalen Politik- und Wirtschaftselite. Über 60 Staats- und Regierungschefs waren dieses Jahr in Davos zu Gast, nebst Abgesandten internationaler Organisationen und natürlich Vertretern von Weltkonzernen wie u.a. Microsoft, Amazon, ChatGPT, Nestlé, Unilever oder Pharmariesen wie Roche und Moderna. Ein enormer Sicherheitsaufwand ist jedes Jahr erforderlich, um die illustre Gesellschaft von der bösen Außenwelt abzuschirmen.

 

Der Ort ist gut gewählt: Abgeschieden in den Schweizer Bergen, auf über 1500 Metern, umweht von klaren Winden, weitab vom Trubel und Geschrei der Welt. Auf den schneebedeckten Höhen von Davos ist man unter sich, ohne lästige Kritikaster und Spielverderber (außer man lädt sie selber ein). So wie einst Göttervater Zeus auf dem Olymp seine Familie zusammenrief, um über das Schicksal der Erdlinge zu beraten, versammelt Klaus Schwab (Gründer des WEF) hier alljährlich die Reichen und Mächtigen, um über die globale Lage zu beraten und die Weichen zu legen, für die Welt von morgen. Die „strategischen Partner“ des WEF sind Hightech-Unternehmen, Banken, Medienhäuser, Nahrungsmittelgiganten, Rüstungsfabrikanten und Pharmakonzerne…, insgesamt 1000, börsennotierte Mitgliedsunternehmen, jedes mit einem Umsatz in Milliardenhöhe (kein Wunder, dass die Schweiz neuer Göttersitz wurde!). Zum erlauchten Kreis gehören ebenfalls Investmentgesellschaften, wie BlackRock, weltgrößter Vermögensverwalter und Berater von Regierungen und Zentralbanken, Kreditkartenanbieter und Zahlungsdienstleister wie MasterCard oder PayPal, Consultingunternehmen wie McKinsey & Company, spezialisiert in Unternehmens- und Strategieberatung, dessen Dienste zunehmend von Regierungen und supranationalen Institutionen in Anspruch genommen werden, oder „Denkfabriken“, wie die RAND Corporation, Berater des Pentagon, die in den letzten Jahren unter anderem damit beschäftigt war, Strategien zur Schwächung Russlands zu erarbeiten…

Als eingetragener „gemeinnütziger Verein“ (1), sieht sich der mächtige Lobbyverband seit geraumer Zeit in der Pflicht, die Welt zu verbessern und das Gemeinwohl zu fördern. „Committed to improving the state of the world“, wie es bei WEF-Tagungen großspurig heißt. Wer dabei die Richtlinien bestimmt, geht schon aus offiziellen Verlautbarungen hervor: „Die Partner des Weltwirtschaftsforums sind führende globale Unternehmen, die Lösungen für die großen Herausforderungen der Welt entwickeln. Sie sind die treibende Kraft hinter den Programmen des Forums.“(2) Dies entspricht ohnehin dem neoliberalen Credo vom Primat der Privatwirtschaft, die mit innovativer Technik, professioneller Logistik und einer durch Profitstreben befeuerten Durchsetzungskraft, den Fortschritt vorantreibt.

Doch um welche Art von Fortschritt handelt es sich dabei?

Schöne neue Welt oder Albtraum?

Für Klaus Schwab („Bestinformierter Mann auf Erden!“) geht es um nichts weniger als um die Vierte

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Industrielle Revolution und die Durchsetzung eines neuen, zukunftsträchtigen Kapitalismus. In seinen Stellungnahmen und Schriften (3) werden die Leitlinien beschrieben, wie der „Große Umbruch“ zu schaffen ist. Digitalisierung, Internet of Bodies, Stakeholder-Kapitalismus, Global Governance,… heißen einige der Zauberwörter, mit denen der Planet gerettet werden soll. Dabei geht es (wie immer!) um hehre Ziele. Alles soll besser, effektiver, nachhaltiger werden: Unsere Umwelt, unsere Städte, unsere Mobilität, unsere Arbeitswelt, unsere Gesundheit, unser Leben….

Im Buch „Covid-19: The Great Reset“ wird offenkundig, wo es lang geht und welche Rolle die Pandemie dabei gespielt hat. Laut Schwab hat uns die Covidkrise gezeigt „wie nützlich die Technik war, um die Menschen zu verantwortungsvollem Handeln zu bringen“. In einem Beitrag auf der WEF-Internetseite vom September 2022, wird ausdrücklich betont, dass „Covid-19 ein Test für die soziale Verantwortung“ war. (4) Zugleich wird hervorgehoben, dass es kein Zurück gibt, in die „Vor-Covidzeit“. Dies gilt insbesondere für den Einstieg in die digitale Erfassung der Bürger im Zuge der sanitären Krise.

Das WEF ist ein eifriger Verfechter digitaler, biometrischer Identitätssysteme, und ist eng verbunden mit „Identity2020 Systems Inc.“ (kurz: ID2020), einer global operierenden Allianz aus öffentlichen und privaten Akteuren, die sich intensiv dafür einsetzt, „weltweit digitale Identifikationsformen zu schaffen“. Gründungsmitglieder sind unter anderen Microsoft, die Rockefeller Foundation, die Unternehmensberatung Accenture, sowie die Impfallianz GAVI, die 2000 auf dem World Economic Forum gegründet wurde. „Das Management von Identität ist weltweit völlig unzureichend“, meinte D. Gruener, die Leiterin der 2017 gegründeten Vereinigung in einem Interview und betonte dabei die Bedeutung der Covidkrise für einen neuen Digitalisierungsschub: „Die Covid-Impfung eröffnete eine einzigartige Gelegenheit, in die digitale Identität für Milliarden von Menschen einzusteigen“.(5) Der digitale Identitätsnachweis (e-ID) auf Basis biometrischer Daten (d.h. Daten zu den physischen, physiologischen Eigenschaften einer Person), wird von Hightech-Unternehmen und Online-Plattformen als Patentlösung gepriesen, um sich überall auf der Welt frei zu bewegen, das Leben zu vereinfachen und die Gesundheitsvorsorge zu verbessern. Klingt großartig.

Man braucht allerdings kein Prophet zu sein um vorauszusagen, dass die digitale Erfassung der persönlichen Merkmale der Bürger, ein weiterer Schritt ist, in Richtung Überwachung und Untergrabung persönlicher Grundrechte. Bei Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf der systematischen Aneignung, Verarbeitung und dem Handel von Daten basiert, liegt es auf der Hand, dass staatlich verifizierte Identitätsdaten auch für die Internet-Plattformen äußerst interessant sind, um anhand individueller Nutzerprofile neue Geschäftsfelder zu erschließen. In ihrem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“(6) beschrieb die amerikanische Ökonomin Joshana Zuboff bereits 2018, das System der Sammlung und Verwertung von Nutzerdaten durch marktbeherrschende Unternehmen. Laut Zuboff ist der digitale Überwachungskapitalismus  eine neue Stufe in einem Vermarktungsprozess, bei dem „persönliche Erlebnisse, die (…) in der Privatsphäre unserer eigenen Erfahrungen stattfinden, nun als freies Rohmaterial, in den Markt übernommen und in Produkte umgewandelt werden, die auf neuen Märkten verkauft werden können.“(7) Wir lernen auch hier: Die Geschichte des Kapitalismus ist die Geschichte der fortschreitenden Aneignung von „Dingen“, die einst außerhalb des Marktes existiert haben und ihrer „Verwandlung“ in Kauf- und Handelsobjekte.

Abgesehen von der Tatsache, dass öffentliche Instanzen weder in der Lage-, noch gewillt sind, die Machtstellung der Digitalriesen zu beschränken, sind sie selbst daran interessiert die neuen Instrumente zu nutzen, zwecks Rationalisierung, Kostensenkung und… Kontrolle. (8) Je „bequemer“ und „alternativloser“ der Einsatz personenbezogener Daten gemacht wird, desto mehr wird das Grundrecht auf Privatsphäre ausgehöhlt, weil der Staat (und andere) das Online-Verhalten der Bürger (Logins, digitale Einkäufe, Kontakte, Reiseverhalten, Interessen, Finanzgebaren …usw.), zurückverfolgen kann, ganz zu schweigen von den Möglichkeiten des Zugriffs von Drittpersonen auf sensible Daten. Prinzipiell muss man ohnehin davon ausgehen, dass alles, was vernetzt ist, angegriffen werden kann.

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Durch die rasante technische Entwicklung ergeben sich zudem neue Möglichkeiten. Biometrische Daten werden zunehmend als Rohstoff für die Weiterentwicklung von Gesichtserkennungssystemen verwendet, um Identifikations- und Überwachungsmöglichkeiten zu optimieren. Dies wird schon seit mehr als zehn Jahren erprobt (nicht nur in China!), u.a. bei Kundgebungen und Demonstrationen. Die Anonymität im öffentlichen Raum wird schrittweise aufgehoben. Letztlich sind es die Markt- und Profitinteressen großer Unternehmen sowie die Kontroll- und Überwachungsbestrebungen von Regierungen oder supranationalen Organisationen, die in nächster Zukunft die Regeln und Nutzung nationaler und transnationaler, biometrischer Identitätssysteme bestimmen werden.

Folgt man den Äußerungen von Gruener, Schwab & Co. eröffnet die digitale Identifizierung auch neue Wege in der Entwicklungspolitik. Die Zukunft der Entwicklungspolitik à la WEF/ID liegt in innovativen Technologien, zentralem Management und …Impfkampagnen. Bei einem ID2020-Projekt in Bangladesch unterstreichen die Verantwortlichen, dass durch die „Verknüpfung von biometrischer Identität und Impfnachweis, allen Kindern Zugang zu Grundversorgung gesichert wird“. (9) Man möchte hinzufügen: Später, wenn sie erwachsen sind und arbeiten, kann man sie dann, per e-ID, schneller als Unruhestifter oder lästige Gewerkschaftsaktivisten „erfassen“ und kaltstellen. Gleichwohl rühmt die Geschäftsführerin das „enorme entwicklungspolitische Potential“, das in „armen Ländern“ mit Hilfe biometrischer Identifizierung entsteht. Vorbei sind die Zeiten, da Unterentwicklung und soziale Ungleichheit im „globalen Süden“ noch als Produkt neo-kolonialistischer oder kapitalistischer Besitzverhältnisse angesehen wurden, die geändert werden müssten, um Armut zu bekämpfen. Die Gesellschaftsanalyse ist tot, es lebe die Biometrie! Warum mühselig Ursachenforschung betreiben und politische Debatten führen um soziale Missstände zu beseitigen, wenn Algorithmen die Probleme erkennen und technische Lösungen ausspucken? Bei einer technokratischen Herangehensweise spielt der gesellschaftliche Kontext ohnehin keine Rolle mehr.

Bild von Steve Buissinne auf Pixabay

Auch das Geldsystem soll in absehbarer Zeit umgemodelt werden. Das WEF macht sich zum Anwalt des digitalen, bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Einen Vorgeschmack auf die neuen Zeiten die wir ansteuern, liefern zwei Beispiele aus jüngster Vergangenheit: Im September 2022 hat der Zahlungsdienstleister PayPal – ohne Ankündigung – die accounts des britischen Online-Magazins „The Daily Sceptic“ gesperrt, offensichtlich als Reaktion auf dessen „impfskeptische“ Berichterstattung in der Covidkrise. Ähnlich erging es den US-amerikanischen, linksgerichteten Websites „Consortium News“ und „MintPress“, die mit ihren Aussagen zum Ukrainekrieg auf Gegenkurs zum  herrschenden Narrativ lagen. (10) Stehen wir bereits an der Schwelle zu einem betreuten Leitjournalismus, gleichsam als Verlängerung des „embedded journalism“ der Neunziger Jahre, der auf den Schlachtfeldern des Mittleren Orients geboren wurde? Auch in dieser Hinsicht hat uns die Covidkrise (und der Ukrainekrieg!) so einiges offenbart. Die Beeinflussung von Medien zwecks Beförderung offizieller Narrative, die Knüpfung von Zahlungsdiensten an konformes Verhalten, die Durchleuchtung der Privatsphäre, …usw. sind wohl vorprogrammiert, wenn der Zugang zu einem Bankkonto und die damit zusammenhängenden Zahlungsprozesse, zentraler Kontrolle unterworfen werden.

Im „große(n) Umbruch“ wird der Bogen der Digitalisierung noch weiter gespannt. Die Pandemie diente laut Schwab auch als Beschleuniger für das „Internet der Körper(Internet of Bodies/ IoB). Nach dem „Internet der Dinge“ (IoT), d.h. der Vernetzung von Objekten und Gadgets zwecks digitaler Steuerung des persönlichen Umfelds (z.B. Haushaltsgeräte, Thermostate, Zahnbürsten,…), hat sich in den letzten Jahren die Konnektierung des Menschen an den Rechner beschleunigt. Den Anfang machten bekanntlich die „Wearables“, Geräte die den Körper des Einzelnen überwachen, persönliche Gesundheitsinfos erheben und das Wohlbefinden steuern (Fitness-Tracker, Smartwatches). Zum „Internet der Körper“ gehört auch die während der Covidkrise forcierte Entwicklung von Überwachungssoftware für Arbeitgeber um die Produktivität der Angestellten im Homeoffice zu „messen“.

Dabei wird es laut WEF-Agenda nicht bleiben.

„Die Vierte Industrielle Revolution wird zu einer Verschmelzung unserer physischen, digitalen und biologischen Identität führen“, meint Klaus Schwab, der als begeisterter Anhänger des Transhumanismus, das Human Performance Enhancement (HPE), die „technologische Verbesserung“ des Menschen anpreist. Er liegt dabei auf einer Linie mit den Thesen der RAND-Corporation, der einflussreichen amerikanischen Denkfabrik, für die das Internet der Körper zugleich Herausforderung und Chance für die Zukunft ist, weil damit die Grenzen menschlich-biologischer Leistungsfähigkeit erweitert werden. Was bisher zur Heilung von Kranken und Behandlung von Behinderten eingesetzt wurde, wird auf die Gesunden übertragen. Der menschliche Körper wird durch den Einsatz technologischer Verfahren „verlängert“, „erhöht“, mit Attributen ausgestattet, die er vorher nicht hatte. Die „Aufrüstung“ geschieht per Mikrochips, Sensoren, Tattoos,… usw., die ihre Daten z.B. an das Smartphone übertragen und dem Nutzer erlauben sein Potenzial zu steuern und besser auf Situationen und Herausforderungen zu reagieren. Laut RAND ist das IoB lediglich die Vorstufe zu einem „Internet of Brains“: „Das ‚Internet der Körper‘ kann letztlich auch zu einem ‚Internet des Gehirns‘ führen, d.h. menschliche Gehirne, die mit dem Internet verbunden sind, um eine direkte Gehirn-zu-Gehirn-Kommunikation zu erleichtern und den Zugriff auf Online-Datennetze zu ermöglichen“.(11) Für den Vizepräsidenten von Google, Ray Kurzweil, müssen wir uns vorbereiten auf ein „hybrides Denken“, eine Art Interaktion unserer biologischen Hirntätigkeit mit einer aus intrazerebralen Implantaten generierten Intelligenz. (12) Immerhin hat RAND auch auf mögliche Risiken hingewiesen, weil die riesige Ansammlung von Daten durch IoB “unsere intimsten persönlichen Informationen gefährden kann“, wenn eine strenge Regulierung ausbleibt. Inwieweit dieser gesamte Komplex überhaupt regulierbar ist, kann zurzeit niemand beantworten.

Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

Laut Schwab wird das XXI. Jahrhundert das Jh. der Biologie sein, „…in dem wir biologische Systeme so umgestalten werden, dass sie den menschlichen Bedürfnissen entsprechen. Wir stehen am Beginn der genetischen Revolution, (…) nachdem wir verstanden haben, wie man den genetischen Code jeder lebenden Zelle umschreibt, und die Kosten für das Hacken von Genen um einen Millionenfaktor gesenkt haben. (…) und wenn unsere DNA, d.h. unser Lebenscode so lesbar, beschreibbar, nutzbar und hackbar wird, wie die Informationstechnologie, dann stehen wir an der Schwelle zu etwas, das viel größer ist als wir“(…), meint er im „Großen Narrativ“ und weist an anderer Stelle darauf hin, dass „die Möglichkeit (besteht) in den genetischen Code zukünftiger Generationen einzugreifen“.(13) Nach WEF-Agenda werden wir in absehbarer Zukunft dann wohl zu „digitally and genetically upgraded humans“, wir transmutieren gewissermaßen zu einer neuen Menschheitsform, die über ihre biologische Identität hinausgelangt, zu einer Art hybriden Mensch-Maschine-Spezies. Ob uns damit ein strahlendes Utopia erwartet, steht auf einem andern Blatt. Kritiker weisen bereits auf das Risiko einer neuen Spaltung der menschlichen Gemeinschaft hin. Gemeint ist damit die Kluft, die sich auftut zwischen den digital- (und genetisch-?) aufgerüsteten „Übermenschen“ und den biologisch-beschränkten „Normalos“, eine Gefahr die auch von der RAND-Corporation hervorgehoben wird. (14) Willkommen zu einer neuen Folge von „Survival of the Fittest“! Version 4.0.

Die Transhumanisten sprechen euphemistisch von Selbstverwirklichung und Erweiterung der Persönlichkeit. Das Human Performance Enhancement passt nur zu gut in eine von Machbarkeits- und Rentabilitätswahn getriebene Leistungsgesellschaft, die die Selbstoptimierung im globalen Konkurrenzkampf hochhält. Das Bild des digital „erweiterten“ Menschen, wie es den Transhumanisten vorschwebt, steht dabei in scharfem Kontrast zum „transparenten“, „verdinglichten“ Rohstofflieferanten in dem von Zuboff beschriebenen „Überwachungskapitalismus“. Fakt ist, dass IoT, IoB, HPE, KI und Genommanipulation einen schier unerschöpflichen Markt generieren (nicht zu reden von den militärischen Implikationen der neuen Möglichkeiten), gleichzeitig jedoch eine Vielzahl ethischer Fragen aufwerfen.

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Wer wird wo die Grenzen ziehen, bei allem was sich da anbahnt? Wo bleibt die breite gesellschaftliche Debatte über die Auswirkungen technologischer Neuerungen und ihrer Anwendung, über die Kluft zwischen technologischem Fortschritt und gesellschaftlicher Regression, über die Manipulierbarkeit unseres „konsultierbar“ und „messbar“ gewordenen Lebens, über die invasive „Besetzung“ unseres Alltags durch virtuelle „Realitäten“, über die Grenzen unserer Unterwerfung unter das Diktat von Algorithmen, über die Lenkung unseres Denkens durch generative KI und die dadurch entstehende Machtfülle für die Internetriesen, über den Niedergang der Schriftkultur durch KI-beförderte Textgenerierung, über die Vermarktung des Planeten und das Verschwinden kultureller Vielfalt in einer sich uniformisierenden Welt, über Zukunftsszenarien jenseits von Wachstum, Warenfetischismus und Rendite, über Freiheit und Selbstbestimmung als Wesensmerkmale menschlichen Daseins…? Kurz: Wie steht es um die conditia humana in einer durchdigitalisierten und durchkommerzialisierten Welt?

Kapitalismus 4.0

Im „Great Reset“ (2020) macht Klaus Schwab sich zum Anwalt eines Stakeholder-Kapitalismus, der das „Shareholder-Value-Prinzip“ überwinden soll.(15) Ein „inklusiver“, „nachhaltiger“, „gerechter“, Kapitalismus wird angestrebt, der das Allgemeinwohl in den Vordergrund stellt und der „nicht (nur) von egoistischen Werten, Gewinnmaximierung, Steuervermeidung (…) und der Externalisierung von Umweltschäden getrieben ist.“ Nach Ansicht der beiden Autoren werde Covid „wahrscheinlich den Tod des Neoliberalismus einläuten“. Was ansteht ist also die wundersame Metamorphose des neoliberalen Raubtierkapitalismus zum ökologischen Kuschelkapitalismus der Zukunft. Einer grünen, sozialen Marktwirtschaft! Abgesehen davon, dass Stakeholder-Konzepte schon in den 70ger Jahren angedacht wurden (ohne nennenswerte Resultate), hat sich das WEF in der Vergangenheit kaum durch Kritik am Neoliberalismus hervorgetan. So gab es z.B. keinen Widerspruch als Weltbank und IWF Anfang der 90ger Jahre unter dem Druck von Investmentbanken, Internetkonzernen, usw. den sogenannten „Washington Consensus umsetzten, ein umfangreiches Bündel wirtschaftspolitischer Maßnahmen, wozu Deregulierung und Marktliberalisierung, Privatisierungen und der Rückzug des Staates gehörten. Dementsprechend stieß Schwab mit seinem „Stakeholder-Vorstoß“ bei verschieden amerikanischen Akteuren sogar auf Kritik, weil sie hinter seinen Ausführungen bereits das Gespenst des Sozialismus witterten. Der philanthropische und ökologische Ansatz dürfte kaum mehr sein als ein Hebel zur Beförderung, des von Schwab angemahnten „positiven Narrativs“ zu den Chancen der Vierten Industriellen Revolution.

Die Wirklichkeit auf dem „Terrain“ stimmt wenig hoffnungsvoll. Ein Beispiel ist der im „Great Reset“ angepeilte Ernährungsumbruch. Mal abgesehen von den anvisierten Änderungen, – von Insektennahrung, über Designerfood bis zu Laborfleisch aus Stammzellen -, steht auch in der weltweiten Lebensmittelbranche der knallharte Kampf um Marktanteile und Ressourcen im Vordergrund. Die jüngsten Bauernproteste in Europa (aber auch in andern Teilen der Welt) sind  Ausdruck davon, inwieweit auch bei uns, durch die weltweite Liberalisierung der Märkte, der Bauernstand dezimiert wird. Für Kleinproduzenten und mittelständische Bauernhöfe schwinden weltweit die Überlebenschancen in einem Kontext zunehmender Industrialisierung und Technisierung der Branche. (16) Die Proteste richten sich nicht zuletzt gegen das noch ausstehende Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Lateinamerikas, das – so wird von Bauernverbänden befürchtet – zu einer „Flutung“ des europäischen Marktes mit Nahrungsmitteln führt, die weniger strengen Umweltstandards unterliegen und den Preisdruck auf EU-Erzeugnisse erhöhen (z.B. durch die Masseneinfuhr von Rindfleisch). Den größten Nutzen aus Freihandelsabkommen beziehen erfahrungsgemäß die finanzkräftigen Gruppen der Nahrungsmittelindustrie. Zwei Dutzend Konzerne, allen voran Nestlé, kontrollieren bereits jetzt die Verarbeitung und den weltweiten Vertrieb von Lebensmitteln, bestimmen die Preise, spielen Kleinproduzenten gegeneinander aus und sind in der Lage Regierungen unter Druck zu setzen. Auch der große „Tablereset“ wird die Oligopoltendenzen auf Weltniveau weiter fördern, während er die Chancen einer nachhaltigen, biodiversen, lokal- und regional verankerten Landwirtschaft schmälert.

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Auf Weltebene wird ein neuer Ordnungsrahmen angestrebt, eine „Global Governance“, weil nach WEF-Auffassung das alte System der zwischenstaatlichen Beziehungen unzureichend ist, um die globalen Probleme in den Griff zu bekommen. Schon in einem WEF-Bericht aus dem Jahre 2009 ging die Rede davon, dass eine globalisierte Welt am besten von einer Koalition aus Konzernen, Regierungen, Vertretern internationaler Institutionen und ausgewählter zivilgesellschaftlicher Organisationen, gesteuert werden sollte. Die verstärkte Einbeziehung supranationaler Organisationen und multinationaler Unternehmen, der großen Finanzmarktakteure sowie „repräsentativer“ Nichtregierungsorganisationen sei dringend erforderlich. Mit eingebunden sollten zugleich globale Massenmedien.

Im Juni 2019 wurde – ohne vorherige Konsultierung der Mitgliedstaaten – eine Kooperation zwischen UNO und WEF vereinbart, eine Art „private public partnership“ zur Stärkung der UN-Organe, mit dem Ziel „eine wohlhabendere und gerechtere Zukunft aufzubauen“ (Schwab). Insbesondere die Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll nach WEF-Vorstellungen erweiterte Kompetenzen erhalten. Zur Debatte steht aktuell ein neuer, umstrittener Pandemievertrag, der den Handlungsspielraum der Organisation beträchtlich erweitern soll, und im Mai 2024 in Genf verabschiedet werden soll. Die Organisation bestätigt sich als „leitende und koordinierende Stelle des internationalen Gesundheitswesens“ und ermächtigt sich im Notfall „Vorschriften an(zu)nehmen, die für die Staaten rechtlich bindend sind.“ Ein zentrales Element ist die Ausweitung der Kompetenzen des WHO-Generaldirektors. Dieser soll zukünftig Gegenmaßnahmen festlegen, über Mittel zur Reaktion verfügen sowie die weltweite Entwicklung, Notfallzulassung, Verteilung und Verabreichung medizinischer Produkte veranlassen. Besondere Aufmerksamkeit erhält neben der „Pandemiebekämpfung“ auch die „Infodemiebekämpfung“. „Die Vertragsparteien stärken die Wissenschaft, die öffentliche Gesundheit und die Pandemiekompetenz in der Bevölkerung (…) und bekämpfen falsche, irreführende, fälschliche oder desinformierende Informationen, unter anderem durch wirksame internationale Zusammenarbeit (…)“, heißt es unter der Rubrik Kommunikation und Sensibilisierung der Öffentlichkeit. (17) Doch wer bestimmt was falsch und irreführend ist? (18)

Man muss wissen, dass die WHO mittlerweile nur noch zu 20% aus regulären, staatlichen Mitgliederbeiträgen finanziert wird. 80% kommen aus Stiftungen und der Privatwirtschaft oder Organismen wie der Impfallianz GAVI. Die „Gates Foundation“ gilt als größter privater Geldgeber der WHO. Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass private Akteure ihren privilegierten Zugang zu nutzen wissen, um ihre Gesundheitsvorstellungen geltend zu machen. So sehen viele Pharmakonzerne ein wichtiges Ziel globaler Gesundheitspolitik darin, eine weltweite Impfinfrastruktur aufzubauen resp. die bestehende auszuweiten.(19) Es geht also bei dieser „Kompetenzverlagerung nach oben“ um den Ausbau und die gezielte Nutzung von Einfluss und Befugnissen, zur Förderung der Geschäftsinteressen einer global-operierenden Gesundheits- und Impfindustrie und anderer Global Player. Außerdem wird es möglich de facto an Regierungen und Parlamenten vorbei zu agieren.

Streng gesehen entspricht das Konzept der Global Governance dem Bemühen der Wirtschaftseliten, (zumindest der in Davos versammelten Elite) nationalstaatliche Zuständigkeiten und Souveränitätsansprüche mindestens teilweise zurückzudrängen, weil sie „den Herausforderungen der Globalisierung nicht gerecht werden“. Im Kern geht es dabei um eine Machtverschiebung zugunsten nichtstaatlicher Akteure, Privatunternehmen, Thinktanks, Expertengremien…usw., die – weitgehend abseits von demokratischer Legitimation und Transparenzpflichten – einen bestimmenden Einfluss auf internationalen Politikfeldern gewinnen und der Problemsteuerung auf Weltebene ihren Stempel aufdrücken.

Die Strategie der Vereinnahmung öffentlicher, gemeinnütziger Einrichtungen durch Privatakteure und die zunehmende Verflechtung von Wirtschaft und Politik ist eigentlich nichts Neues, hat allerdings in den letzten Jahren erschreckende Ausmaße angenommen. Mit Blick auf die USA, haben kritische Analysten wie Naomi Klein, oder das Urgestein der amerikanischen Linken, Noam Chomsky, schon vor mehr als 15 Jahren anschaulich beschrieben, wie sich private Akteure in staatlichen Instanzen breitmachen, und dabei vitale Funktionen und Kompetenzen übernehmen, sei es bei Bildung, Forschung, Verkehr, Energieversorgung, Gesundheit, Sicherheit oder Verteidigung. Von den Privatisierungen der großen Staatsbetriebe in den 80ger und 90ger Jahren, über „öffentlich-private Partnerschaften“, der „Externalisierung“ öffentlicher Aufgaben und Anwerbung privater Consultingfirmen, bis zur direkten Einflussnahme auf Bundesbehörden und Ministerien, spannt sich der Bogen dieser Entwicklung, mit dem Resultat einer wachsenden Ausrichtung staatlicher Tätigkeit nach Rentabilitätskriterien und prioritärer Berücksichtigung privatwirtschaftlicher Interessen. Selbst ein gemäßigter Zeitzeuge, wie der 2007 verstorbene Ökonom John K. Galbraith, hat mehrfach darauf hingewiesen, wie Konzerne öffentliche Einrichtungen infiltrieren und sich dienstbar machen. In seiner letzten Veröffentlichung (20) heißt es z.B. über die US-Rüstungsindustrie: „Der lange Arm der Rüstungslobby reicht bis nach Washington und in die Gremien hinein, die den Verteidigungshaushalt beschließen (…) Die Rüstungslobby beeinflusst die Außenpolitik und die Entscheidungen über Krieg oder Frieden. Es ist unverkennbar, dass die Privatwirtschaft eine beherrschende Stellung im öffentlichen Sektor einnimmt.“(21) Insofern ist die „Einrahmung“ supranationaler Institutionen durch Privatakteure nur eine logische Fortsetzung dieser Entwicklung.

Weitaus interessanter ist darüber hinaus die These Naomi Kleins, dass der postindustrielle Kapitalismus des XXI. Jahrhunderts an einer globalen Stabilität nicht interessiert ist, sondern im Gegenteil, die Menschen in einem kontinuierlichen Krisenmodus halten will, um einen fruchtbaren Boden für seine Profitinteressen zu haben (22). Kriege, Krisen und Bedrohungen eröffnen neue Märkte und sorgen für die Ruhigstellung der Bevölkerung. Außerdem sind sie die Voraussetzung dafür, unumkehrbare Fakten bei der Krisenbewältigung zu schaffen, die eine Rückkehr zu alten Denkmustern und Handlungsweisen verhindern. In Anlehnung an Naomi Kleins Theorie der „Schockstrategie“ kann man folgern, dass auch die Covidkrise dazu genutzt wurde, der Gesellschaft „unumkehrbare Fakten“ und Veränderungen aufzudrängen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die globalen Player der westlichen Hemisphäre, die Big Tech, Big Pharma, Big Oil, Big Weapon… usw., zu den großen Gewinnern der letzten Jahre zählen.

Es ist schon hochgradig paradox! Dieselben Eliten, die den Planeten mit ihrer Wachstumshybris an die Grenzen seiner Belastbarkeit geführt haben (und für die Nachhaltigkeit noch heute ein Fremdwort ist!), dieselben „Global Player“, die in ihrer Gier nach Reichtum und Macht dabei sind, die Fundamente der Demokratie zu untergraben, dieselben Investmentbanken, die das globale Finanzsystem 2008 an die Wand gefahren haben (und sich von geduldigen Steuerzahlern „auffangen“ ließen!), dieselben Konzerne und Superreichen, die sich dem Dienst an der Allgemeinheit verweigern, indem sie „ihre“ Milliarden in Geldparadiesen bunkern (oder sich bei zuständigen Behörden Steuerprivilegien sichern), und dabei die Kluft zwischen Arm und Reich ins Unerträgliche steigern, …maßen sich an, in gewohnt selbstgerechter Manier, den Erdball nach ihren – gewinnverheißenden – Vorstellungen, zukunftsfähig zu machen.

Geht es beim „Großen Umbruch“ nicht letztlich darum, ein System zu revitalisieren, das an seine Grenzen gestoßen ist und dessen Früchte dennoch nur einer Minderheit zugutekommen? Die „glückliche Globalisierung“ (Alain Minc) wurde für die „globale Mehrheit“ des Planeten zu einer Zeit der geplatzten Versprechungen und Illusionen. Doch gerade weil das neoliberale Modell ins Stottern geraten ist, gilt es jetzt die Grundlagen und Voraussetzungen für sein Überleben neu zu bestimmen. Eines erscheint dabei schon jetzt klar ersichtlich: Die Privatisierung und Technisierung von Herrschaft wird weiter voranschreiten. Vieles deutet darauf hin, dass wir mit Riesenschritten auf eine durchdigitalisierte, KI-gelenkte, posthumanistische Gesellschaft hinsteuern, in der persönliche Autonomie, individuelle Freiheit und Demokratie weitgehend obsolet werden. Insofern wäre der Great Reset der großangelegte Versuch, eine neue „Normalität“ auf globaler Ebene herbeizuführen, d.h. ein neues Regelwerk zur Verwaltung und Optimierung des „Menschenparks“ (Peter Sloterdijk) zu schaffen, mitsamt dem dazugehörigen Rüstzeug: Biometrischer Ausweis, digitale Überwachung, QR-Code-Freiheit, Gesundheitspass, Digitalgeld… usw. Nach den Autoren des Great Reset stehen wir an einem Wendepunkt, … und treten dabei voraussichtlich in ein neues Stadium des Kapitalismus ein: Eine Art Feudaltechnokratie (23), ein digital-finanzieller Komplex, in dem mächtige Konzerne die Fäden ziehen und dabei ihre Besitz- und Machtansprüche zementieren. Der Kapitalismus 4.0.

Dies wäre auch das Ende des alten, ehrwürdigen, liberal-humanistischen Weltbildes, aus dessen Trümmern der fremdbestimmte, biometrisch erfasste „homo digitalis“ hervorsteigt. Die „digitale Identität“ als letztes Stadium der Vermarktung alles Lebendigen, der Degradierung des Menschen zum „Datenlieferanten“ und zum gefügigen, manipulierbaren „global consumer“! Umgesetzt wird die angestrebte Dystopie mit einer Generation, die nach dem Kalten Krieg geboren wurde und als „Digital Natives“, technisch versiert und gut vernetzt, an Datenfluss, Überwachung und Reizüberflutung gewöhnt, jedoch zunehmend unempfänglich ist, für die Segnungen eines Bildungsideals aus der Mottenkiste. Die Generation 4.0.

Die politischen Akteure in Parlamenten und Regierungen erscheinen bei diesem Umbruch nur als Getriebene, die den mächtigen Privatakteuren hinterherhecheln oder selbst Teil des Systems sind, z.B. als WEF-geförderte „Young Global Leaders“ (YGL) in den Schaltzentralen der großen Industriestaaten. Die Covidkrise hat gezeigt, dass sie nur allzu bereit sind, Kompetenzen und Machtbefugnisse an übergeordnete Instanzen und „Expertengremien“ abzutreten, sich ihren Vorgaben zu unterwerfen und dementsprechend zu agieren (vielleicht weil sie früher oder später selbst in diese Instanzen nachrücken).

Bild von Alexa auf Pixabay

Haben wir nicht erlebt, wie sich einige Staaten in unseren Breitengraden bei der Leitung des „Gesundheitsnotstands“ in einen schier ungezügelten, surrealen Verordnungswahn hineingesteigert haben? Wurden wir nicht, in diesen drei Jahren, bereits ansatzweise an den Abbau von Grundrechten gewöhnt, oder an den Umgang mit einem autoritär agierenden Staat? Logisch, dass Schwab gerade in der Covidkrise ein „Zeitfenster“ für einen Neustart sah, um auf globaler Ebene neue Akzente zu setzen.

Laut Forbes-Magazin ist die WEF-Agenda nur „ein weiteres Beispiel dafür, wie reiche, mächtige Eliten ihr Gewissen mit falschen Bemühungen, den Massen zu helfen, beruhigen und sich dabei noch reicher und mächtiger machen“(24). Dass die Eliten dabei nur ihr Gewissen beruhigen wollen, ist stark verkürzt und irreführend, schließlich geht es Ihnen darum, ihr „Projekt Zukunft“ an die „Konsumenten“ zu verkaufen und umzusetzen. Die Talk-Runden und Konferenzen in Davos fungieren dabei nicht zuletzt als medienwirksame Public Relation Events, um dem Großen Umbruch einen respektablen, fortschrittlich-innovativen Anstrich zu verpassen und damit ein positives, verbindendes Narrativ zu befördern.

Das diesjährige Treffen des WEF stand unter dem Motto „Rebuilding Trust“. Am zweiten Tag hat Ursula v. d. Leyen, EU-Vorstandsvorsitzende und Dauergast in Davos, den Kampf gegen Desinformation zum Hauptobjektiv der kommenden Jahre erklärt. Dies klang befremdlich aus dem Mund einer Politikerin, die sich bis dato beharrlich weigert, ihre Deals mit Pfizer offenzulegen (und gegen die deshalb die EU-Staatsanwaltschaft ermittelt), oder dem EU-Parlament eine ungeschwärzte Fassung der milliardenschweren Impfverträge zukommen zu lassen. Vertrauen aufbauen… geht anders!(25) Es kommt nicht von ungefähr, dass Davos auch zum Sinnbild einer abgehobenen, anmaßenden Elite wurde, die – getragen von ihrem technokratischen Weltverständnis -, kaum noch Bezug zu den real-existierenden Problemen der breiten Bevölkerung hat, sich gleichwohl jedoch zum Anwalt der Weltgemeinschaft und zum Hüter des Gemeinwohls aufspielt, frei nach dem Motto, „Ignore the people and let experts run the world“.

Was die WEF-Agenda konkret in naher Zukunft bedeutet, werden die Menschen noch früh genug erfahren. Ob die Bürger die von oben diktierten Veränderungen überhaupt wollen, erscheint nebensächlich. Sie werden nicht gefragt und werden vieles davon hinnehmen müssen. Große Teile der Bevölkerung werden dies umso bereitwilliger tun, als alles mit noblen Zielen unterfüttert wird und als alternativlos hingestellt wird. Die Einführung des Digitalkapitalismus 4.0 geschieht, wie immer wieder betont, zu unser aller Wohl, im Namen von Nachhaltigkeit, Gesundheit und Sicherheit.

Apropos Sicherheit. Ich habe gelesen, dass Mark Zuckerberg, Facebook-Gründer, und strategischer Partner des WEF, sich auf Hawaii einen monströsen, „antiapokalyptischen Komplex“ bauen lässt, eine Villa samt geräumiger Bunkeranlage, mit eigener Strom- und Wasserversorgung und allem Drum und Dran. Sollten einige der selbstmandatierten Weltenlenker am Erfolg ihrer eigenen Zukunftsvisionen zweifeln? Auch Götter sind fehlbar.

Marc Lentz

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  1. In seiner Selbstbeschreibung bezeichnet sich das WEF als „unabhängig, unparteiisch und an keine besonderen Interessen gebunden.“ Von der Schweiz als gemeinnütziger Verein anerkannt, ist das Forum steuerbefreit. Es beschäftigt etwa 700 Vollzeitmitarbeiter.
  2. vgl. Miryam Muhm, Die Krake von Davos, Europaverlag, 2023, S.18
  3. vgl. Klaus Schwab, Die Vierte Industrielle Revolution, Pantheon, 2016 / Klaus Schwab, Thierry Malleret: Covid-19: Der Große Umbruch, Forum Publishing, 2020 / Klaus Schwab, Thierry Malleret: Das Große Narrativ: Für eine bessere Zukunft, Forum Publishing, 2022.
  4. https://www.weforum.org/agenda/2022/09
  5. Zitiert nach Deutschlandfunk Kultur: Leben in der überwachten Gesellschaft, 27.12.2021
  6. vgl. Joshana Zuboff, Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus, Campus, Oktober 2018
  7. vgl. Deutschlandfunk Kultur: 20.10. 2018
  8. Auch die EU-Kommission (Partner von ID2020) ist eifrig dabei die Sammlung und Speicherung biometrischer Daten zu Verwaltungszwecken voranzutreiben. So soll z.B. der, von der Kommission geförderte Digitalausweis es künftig ermöglichen sich länderübergreifend auszuweisen, und das nicht nur bei Behörden, sondern auch bei Hotel-Check-in, Geschäftsangelegenheiten oder Anmeldungen bei Online-Plattformen. Bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent der EU-Bevölkerung einen digitalen Identitätsnachweis vorzeigen können.
  9. vgl. Deutschlandfunk Kultur, 27.12.21, zum ID2020-Projekt in Bangladesch, in Kooperation mit der dortigen Regierung und der Impfallianz GAVI. Es handelt sich dabei um „digitale Impfnachweise und digitale Identität“, erklärte die Geschäftsführerin Dakota Gruener: „In Bangladesch erhalten bis heute nur 20 Prozent aller Kinder eine Geburtsurkunde. Zugleich aber werden fast alle Kinder gegen Krankheiten geimpft. Das brachte uns auf die Idee, die beiden Dinge miteinander zu verknüpfen: Einerseits stärken wir so das Impfsystem, in dem wir einen digitalen Impfnachweis einführen, andererseits nutzen wir die Digitalisierung des Impfsystems, um eine digitale Identität für die Kinder aufzubauen.
  10. vgl. Miryam Muhm… S. 98-100
  11. vgl. The Sociable – Tech & Society News Blog, 26. März 2024
  12. vgl. Laurent Alexandre, ChatGPT va nous rendre immortels, JC Lattès 2024, p. 246
  13. vgl. Schwab, Die Vierte Industrielle Revolution, S. 41
  14. vgl. The Sociable, 23. Nov. 2021
  15. Mit Stakeholder (zu Deutsch: Anspruchsgruppen) werden Personen, Gruppen oder Institutionen bezeichnet, die von den Aktivitäten eines Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind, und deren Interessen zu berücksichtigen sind.
  1. Zwischen 1970 und 2020 ist allein in Frankreich die Zahl der Bauerhöfe um 75% gesunken und in den letzten 20 Jahren ist die Produktion von Obst und Gemüse hier um fast 30% eingebrochen. (vgl. LACROIX, 29.4.2022)
  2. Auch wenn der Text  in der Zwischenzeit „entschärft“ wurde [März 2024], die Kompetenzerweiterung hinter mehr oder weniger schwammigen Formulierungen kaschiert wird, die Terminologie „gepflegter“ wurde, bleibt die Zielsetzung die gleiche.
  3. Wir erinnern uns noch an die Schweinegrippe im Jahr 2009. Damals rief die WHO einen globalen Notstand aus, der weltweit Angst und Panik verbreitete. Pharmakonzerne produzierten Impfstoffe und etliche Staaten kauften diese in großen Mengen. Doch nichts geschah. Die Staaten blieben auf den Impfstoffen sitzen und mussten diese schließlich vernichten. Allein die deutsche Bundesregierung kaufte damals Impfdosen im Wert von einer halben Milliarde Euro. Profitiert haben v.a. die Pharmakonzerne. (vgl. Die WHO am Bettelstab, Was gesund ist, bestimmt Bill Gates, SWR2, 4.9.2020.) Vergessen ist auch nicht die aufdringliche, anmaßende Berichterstattung der Leitmedien in der Covidkrise, als es galt evidenzbasierte Wahrheiten zu verkünden („Wer sich impfen lässt, schützt sich selbst und andere vor Ansteckung!“, „Die Impfstoffe sind sicher und hochwirksam!“…) und kritische Stimmen generell in die Kategorie „Rechtsextremismus und Komplottismus“ abzuschieben.
  4. Andere Bereiche werden vernachlässigt. Dazu gehört z.B. die Stärkung der Basisgesundheitssysteme in vielen Ländern oder der Zugang zu sauberem Trinkwasser. (vgl. Deutschlandfunk Kultur, 16.5.2017) Nach dem UN-Weltwasserbericht 2024 haben weltweit 2,2 Mrd. Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Das eifrige Engagement zugunsten von Impfungen in der Covidzeit stand übrigens in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Notlage in vielen Regionen Afrikas. Größte Bedrohung in den Jahren 2020/22 waren nicht Infektionskrankheiten, sondern Unterernährung und Mangelernährung, und zwar teilweise ausgelöst durch die oft „katastrophalen wirtschaftlichen Auswirkungen von Lockdowns und Ausgangssperren“. (vgl. Deutschlandfunk, 11.3. 2022)

  1. vgl. John Kenneth Galbraith, Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs. Vom Realitätsverlust der heutigen Wirtschaft, Siedler 2005, S. 85
  2. Vermutlich hatte Galbraith auch das unrühmliche Beispiel HALLIBURTON vor Augen, eines multinationalen Anbieters von technischen Dienstleistungen und Zulieferers von Erdöl- und Energieunternehmen, sowie auch staatlicher Unternehmen. Der Zweite Irakkrieg (2003) zeigte, in welchem Ausmaß selbst die Kriegführung von privatwirtschaftlichen Akteuren bestimmt wird. Als Militärdienstleister für das US-Verteidigungsministerium, oblag HALLIBURTON (über sein Tochterunternehmen KBR) die Aufgabe, die gesamte Infrastruktur der Kriegsoperationen im Irak aufzubauen und zu koordinieren. Die anschließenden „Wiederaufbaukontrakte“ (u.a. zur Instandsetzung der irakischen Ölindustrie) bescherten dem Konzern Einnahmen in Höhe von 3,6 Mia. Dollar. Dick Cheney, von 1995 bis 2000 Vorstandsvorsitzender von HALLIBURTON, war zur Zeit des Irakkriegs Vizepräsident unter George. W. Bush. 2005 erhielt er vom Konzern eine  „verzögerte Abfindungszahlung“ von über 200 000 Dollar, wohl als Dank dafür, dass er dem Unternehmen lukrative Exklusivverträge im Irak verschaffte. Cheney war die treibende Kraft hinter dem Irakkrieg, neben Donald Rumsfeld (Verteidigungsminister) und Paul Wolfowitz (stellvertr. Verteidigungsminister). Rumsfeld war von 1997 bis zu seiner Nominierung als Minister, Aufsichtsratsvorsitzender des Pharmariesen GILEAD Science, der mit einem Umsatz von 24 Mia. Dollar (2020), zu den Größten seiner Branche zählt. GILEAD war damals bereits ein Hauptzulieferer der amerikanischen Streitkräfte. Berühmt-berüchtigt wurde im Irak auch der Einsatz privater Sicherheitsfirmen wie BLACKWATER. Nach Berichten der NYT agierten im Irak rund 50 000 private Sicherheitskräfte.
  3. vgl. Naomi Klein, La stratégie du choc. La montée d’un capitalisme du désastre, Leméac Actes Sud, 2008.
  4. vgl. Cédric Durand, Technoféodalisme: critique de l’économie numérique, Editions La Découverte, 2020
  5. Forbes Magazine, 30. Nov. 2020, John Mauldin: A ‘Great Reset’ Is Coming… But Not For Capitalism’.
  6. Den Vogel schossen die EU-Parlamentarier selbst ab, als sie am 17. Januar mehrheitlich dafür stimmten, auf die Offenlegung der Verträge zu verzichten. Ein durchsichtiges Manöver von Christdemokraten, Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen usw., um der angeschlagenen v.d. Leyen eine zweite Amtszeit zu ermöglichen. Zugleich die parlamentarische Bankrotterklärung einer Instanz, deren ureigene Aufgabe eigentlich darin besteht, die Kommission zu kontrollieren. Immerhin handelt es sich bei den Pfizerverträgen um den größten Impfstoffdeal aller Zeiten. Ob man auf diese Weise der Politikverdrossenheit und dem Rechtspopulismus entgegenwirkt ist kaum anzunehmen.

                             

 

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