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Gesellschaft

Thierry Simonelli: Luxemburgs Front gegen den Rechtspopulismus 

Thierry Simonelli: Luxemburgs Front gegen den Rechtspopulismus
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

                                                                          Dabeisein ist alles

 

Da es in Luxemburg weder nationalsozialistische Gruppierungen noch rechtsextreme Parteien gibt, wie es auch die beliebteste Expertin der Linken, Leonie de Jonge, einräumt (RTL, 2024), bleibt der luxemburgische Kampf gegen Rechtsextremismus vorwiegend ein imaginärer Kampf. Aber auch imaginäre Kämpfe brauchen Feinde. Deshalb benennen die linken Kritiker des luxemburgischen Rechtsextremismus ihren erfundenen Widersacher „Rechtspopulismus“.

Der Begriff des Rechtspopulismus ist nicht nur in der Wissenschaft schwammiger, unbestimmter und weitaus vieldeutiger, als die verwandten Begriffe des Rechtsextremismus, Radikalismus oder Nazismus. Er bleibt vor allem im politischen und journalistischen Gebrauch so verschwommen, dass er alles bezeichnen kann, was nicht links ist. Klar ist nur der durchgehend normative, wertende Sinn des Wortes: Populismus ist böse. Und Rechtspopulismus ist noch böser. Deshalb sollten scheindemokratische rechtspopulistische Parteien, Menschen oder Meinungen in einer wahren Demokratie geahndet oder verboten werden. Dies gilt den Wissenschaftlern, Politikern und militanten Journalisten selbstverständlich auch für das Volk (populus).

wikipedia

Das populistische Volk ist der Plebs, der gemeine Pöbel, die ungebildete, gemeine Masse, der große Lümmel, oder der Sack von Kläglichen („basket of deplorables“).

Die Moral-Linke des Tageblatt, die neoliberale Linke der LSAP, die unentschieden linksextreme Linke der Linken und die christkatholische Linke des Forum haben sich also zu einer heiligen Hetzjagd gegen das rechte Gespenst mobilisiert und organisieren, jede für ihre eigenen Abonnenten, Mitglieder, Freunde und Verbündeten, Vorträge, Diskussionsrunden und Interviews gegen den Rechtspopulismus und für die Errettung der Demokratie.

elections.lu

Denn auch in Luxemburg scheint die Demokratie nach dem Wahlsieg der Mitte-rechten Christsozialen und dem deutlichen Stimmengewinn der ADR durch den europaweiten „Rechtsruck“ gefährdet. Wie seine Nachbarländer muss sich deshalb auch Luxemburg mit seinen Wahlverlierern gegen den Einfluss der Rechts- bis Rechtsaußen-Parteien wehren. Es geht den linken Demokratieverfechtern also um die Bekämpfung einer politischen „Krankheit“ und die Abwehr gegen deren „niederträchtigen“ Krankheitserreger.

Die Waffen, die unsere geistige Linke gegen die imaginären Rechtsextremen zu Felde führen, sind das Prinzip der demokratischen Intoleranz, der „Cordon sanitaire“ („ein Cordon sanitaire ist eine bewachte Linie, die eingerichtet wurde, um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern“, s. de Jonge, 2019, S. 193) und die wehrhafte Demokratie.

Das Prinzip der Intoleranz

Das Prinzip der Intoleranz leitet sich aus der Zuspitzung von Karl Poppers Paradox der Toleranz ab. In einer Fußnote des ersten Bandes seiner Offenen Gesellschaft unterscheidet Popper zwischen drei Paradoxa: dem Paradox der Freiheit, dem Paradox der Toleranz und dem Paradox der Demokratie (Popper, 1975, S. 609-610).

Das Paradox der Toleranz entsteht dadurch, dass eine grenzenlose Toleranz zum Verschwinden der Toleranz führen könnte. Das erklärt sich daraus, dass eine schrankenlose Toleranz es den Intoleranten ermöglichen könnte „die Toleranten zu vernichten“. Sind die Toleranten dann vernichtet, ist die auch Toleranz ausgelöscht.

In ähnlicher Weise bedingt das Paradox der Freiheit, dass „Gangster“ die Friedfertigen unterdrücken und versklaven könnten. Das Paradox der Demokratie entsteht seinerseits, wenn eine demokratische Mehrheit sich zu einem Diktator oder einer diktatorischen Regierung, z.B. im Ausnahmezustand, entscheidet. Dieses letztere Paradox ist unseren moralischen, neoliberalen und christkatholischen Linken trotz rezenten Ausnahmezuständen, Ausgangssperren und immer stärker werdenden staatlichen und unternehmerischen Kontrollen der Meinungsfreiheit selbstverständlich so unbekannt, dass sie es nicht einmal erwähnen.

Wie sollte man sich also, Popper zufolge, gegen die Gangster, die Intoleranten und die Tyrannen wehren?

Durch ein politisches System, das „alle Menschen, die zur Zusammenarbeit bereit sind, das heißt alle toleranten Menschen, toleriert“. Dieses Prinzip schließt auch diejenigen Gangster, Intoleranten und Möchtegern-Tyrannen ein, die innerhalb der demokratischen Debatte ihr Recht auf freie Meinungsäußerung, auf Vereiniguns- und Parteienbildung wahrhaben möchten. Und das würde bedeuten, dass jeder Gangster, jeder Rechtsextreme oder Rechtsradikale, der bereit ist, auf der „Ebene rationaler Diskussion zusammenzutreffen“, in einer pluralistisch-freiheitlichen Ordnung seinen Platz hätte.

Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, rät Popper sogar von der Unterdrückung der Intoleranten ab: So lange „wir ihnen durch rationale Argumente beikommen und solange wir sie durch die öffentliche Meinung in Schranken halten können, wäre ihre Unterdrückung sicher höchst unvernünftig“.

Erst wenn die Gangster, die Intoleranten und die Tyrannen Argumente mit „Fäusten und Pistolen“ beantworten, ist es an der Zeit, die Unduldsamen nicht mehr zu dulden. Die Toleranz hört dort auf, wo Fäuste und Pistolen, wo, allgemeiner, die praktische Gewalt beginnt. Popper sieht die rote Linie in der Niederschlagung des Diskurses, nicht in der Meinungsvielfalt und Divergenz innerhalb des Diskurses.   

Das Prinzip der Intoleranz verkehrt den demokratischen Gedanken der offenen Gesellschaft in sein Gegenteil, indem es die Grenze der Intoleranz innerhalb der demokratischen Debatte selbst zieht.

Hier sind es nicht mehr die Fäuste und die Pistolen, hier ist es nicht mehr die materielle Gewalt, die bekämpft werden sollen, sondern der rationale und demokratische Diskurs selbst, wenn er als Rechtsextrem, Rechtsradikal oder Rechtspopulistisch eingestuft werden kann. Nicht nur die Gewalt, sondern auch der politische Diskurs selbst soll hier verboten, zensiert und möglicherweise bestraft werden, wenn er dem als „demokratisch“ anerkannten Diskurs widerspricht.

Wer entscheidet dann aber, was als Toleranz und was als Hass, was als demokratisch und als undemokratisch, was als rational und irrational zu gelten hat?

Gibt es hier einheitliche, übergeschichtliche oder außergeschichtliche, unangefochtene, konsensuelle Erkenntnisse, Wahrheiten und Normen, auf welche sich die heutigen Toleranten und ihre Experten unabhängig von jeglicher politischen Ideologie und jedem gesellschaftlichen System stützen könnten? Schwerlich.

Das Beseitigen der „inneren Feinde“

Die Idee der Demokratie, die Idee der Toleranz und der rationalen Diskussion, die Idee einer „offenen“, im Gegensatz zu einer „geschlossenen“ Gesellschaft besteht zum Teil gerade darin, dass die Vielfalt, die Verschiedenheit und auch die Gegensätzlichkeit der Gedanken und Überzeugungen in gewaltlosen Debatten und Entscheidungsfindungen, ohne Pistolen und Fäuste, ohne staatliche und mediale Knebel ausgetragen werden können.

Eine „geschlossene Gesellschaft“ unterscheidet sich, wenigstens in Poppers Begriffen, von einer „offenen Gesellschaft“ dadurch, dass ihre Mitglieder durch die Teilnahme an „gemeinsamen Anstrengungen, gemeinsamen Gefahren, gemeinsamen Freuden und gemeinsamem Unglück zusammengehalten werden“ (Popper, 1975, S. 352).

Die geschlossene Gesellschaft kennzeichnet sich demgegenüber durch den Glauben an starre Tabus und deren Sanktionen. In der offenen Gesellschaft haben es die Menschen gelernt „in gewissem Ausmaß den Tabus kritisch gegenüberzustehen und die Entscheidungen (nach einer Diskussion) auf die Autorität ihrer eigenen Intelligenz zu gründen“ (a.a.o. S. 407).

Dem scheinen die heutigen Kämpfer für die freiheitliche Grundordnung der Demokratie zu widersprechen. Der Begriff des Tabus bezieht sich auf das, was nicht getan, nicht gesagt, nicht gedacht und nicht berührt werden darf. Tabus kennzeichnen im politischen Diskurs der geschlossenen, also undemokratischen und intoleranten Gesellschaft, die „Grenzen des Handelns, Redens und Denkens“ (s. Mildenberger & Schöder, 2012).

Diese systematische Praxis der Tabusperre drückt sich am bevorzugt im Aufrichten eines „Cordon saniraire“ aus. So haben die christkatholischen Linken im September 2023 „parteipolitisch neutral“ und mit der Forderung nach einer „demokratischen Verfasstheit unserer Gesellschaft“, allen Ernstes und ohne jeglichen Sinn für performative Selbstwidersprüche, ein Plädoyer gegen die Alternativ Demokratische Reformpartei (ADR) verfasst. Dieser solle keine „Bühne“ mehr im Monatsblatt forum gegeben werden, da sie gleich eine ganze Reihe von politischen Tabubrüchen begangen habe.

In der Aufzählung der katholischen Moralisten bestehen diese Tabubrüche unter anderem in einer „völkische Ideologie“ mit viermaliger Erwähnung des „Bevölkerungsaustausch“-Begriffs, die anscheinende Mitgliedschaft von „Bewunderer[n] des Drittes Reichs“, das anscheinende Veröffentlichen von Hitler- und Holocaust-Witzen auf sozialen Medien, das „Männlichkeitsbild“, das dem Mussolinis und Putins (sic)

wikipedia

nahekommt, und die scheinbaren „Hassreden“ auf Frauen, LGBTQIA+-Personen, Flüchtlinge, Muslime und Ausländer im Allgemeinen. Aber auch die Mitgliedschaft der ADR in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer im EU-Parlament ist ein zwingender Grund, die ADR aus dem politischen Diskurs auszuschließen.

Mit 5 Sitzen im luxemburgischen Parlament und 9,27 % der Wählerstimmen (21‘445 von 231‘344 gültigen Stimmen) schließt das moralisch-publizistische Cordon sanitaire somit nicht nur den politischen Krankheitserreger der rechtspopulistischen Partei aus ihren heiligen Seiten aus, sondern sie verordnet fast 10 % der Wähler Luxemburgs ein demokratisches Redeverbot.

Die demokratischen Unterzeichner des Plädoyers fordern darüber hinaus, in tiefster Achtung der Artikel 1, 2, 7, 18, 19 (Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung) und 21 (Mitwirken an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter) der allgemeinen Menschenrechtserklärung, dass der demokratisch-freiheitlich Maulkorberlass nicht nur für Medien, sondern auch für andere gewählte Parteien gelten solle (außerhalb der gesetzlichen Gleichbehandlung des Wahlkampfs, s. Kalmes et al., S. 11).

Hier plädieren die Christkatholischen also nicht nur für ihre eigene lobenswerte politische Moral, sondern auch gegen die Artikel 23 (Meinungsfreiheit) und 27 (Pluralismus der politischen Parteien) der luxemburgischen Verfassung. Mehr offene Gesellschaft verfassungswidrige Forderungen und Empfehlungen!

Mit dem Cordon sanitaire wird das Paradox der Demokratie also zur Anweisung der gesellschaftlichen und politischen Diskriminierung, zur diskursiven und praktischen Polarisierung sowie zur Aberkennung der konstitutionellen Meinungs– und Redefreiheit und des Rechts der Beteiligung am politisch-demokratischen Prozess. Zweifelsohne, alles für den guten Zweck.

Solche verfassungswidrigen Anweisungen sind selbstredend nur zum Schutz der wohlwollenden, einheitlichen Tyrannei eines erfundenen politischen Allgemeininteresses gedacht. Und sie gleichen nur zufällig den Kennzeichen der undemokratisch geschlossenen Gesellschaft, die vorgeblich bekämpft werden sollte.

Weniger Demokratie wagen

Seit Covid war die moralische Linke des Tageblatt anderen Moralisten immer einen Schritt voraus. Der damalige Chefredakteur vermochte es, ganz ohne Hassrede und mit den besten demokratischen Absichten, den Vorsitzenden der ADR öffentlich als „niederträchtigen Drecksack“ zu bezeichnen.

Photo de Polina Tankilevitch: https://www.pexels.com/fr-fr/photo/marketing-restaurant-repas-affaires-4109270/

Es versteht sich dann fast von selbst, dass diese Linke sich noch einen Schritt weiter als die Katholischen in den Grabenkrieg gegen die pluralistische Demokratie wagt.

Mit ihrer wissenschaftlichen Expertin für Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus fordert das Tageblatt über den Cordon sanitaire hinaus die „wehrhafte Demokratie“.

So gäbe es, folgt man der Expertin Léonie de Jonge beim Warmlauf gegen die offene Gesellschaft, ein großes Missverständnis bezüglich des politischen Cordon sanitaire. Denn dieser heiße nicht, dass man jemanden zum Schweigen bringen würde. Demokratisch gewählte Volksvertreter nicht zu veröffentlichen, ihnen nicht zuzuhören und nicht mit ihnen in Parlamenten zu diskutieren, verbiete den so Ausgeschlossenen nicht zu reden. Sie dürfen so viel reden, wie sie möchten, allerdings sollte niemand ihnen zuhören und vor allem niemand darauf antworten.

Der Cordon sanitaire, so die Extremismuswissenschaftlerin, beschneide ja nur die derzeit noch verfassungsgemäße Meinungsfreiheit der gewählten Volksvertreter und deren Wähler. Das bekannte politische Hygieneprinzip Jean-Louis Barraults findet bei Cordon sanitaire Anwendung auf die rechten Bazillen: „La dictature, c’est ‘ferme ta gueule’ ; la démocratie, c’est ‘cause toujours.“

Es ist, so die Expertin des Tageblatts, vonnöten, dass sich die Demokratie gegen ihre „inneren Feinde“ wehrt. Und aus der wertneutralen wissenschaftlichen Forschung (sic!, de Jonge & Dörr, 2023) wissen wir, „dass eine Kombination aus Strategien wirken kann“, die inneren Feinde zu isolieren und demokratisch auszumerzen.

Der Cordon sanitaire ist jedoch nur eine der Waffen gegen die vom Volk demokratisch gewählten Feinde. Denn die parlamentarische Opposition ist für die moralische Linke längst nicht mehr politischer Gegner, sondern zu beseitigender Feind.

Die moralisch-wissenschaftliche linke Abwehr gegen Rechtspopulisten weiß, dass jeder „religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz […] sich in einen politischen Gegensatz [verwandelt], wenn er stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren“ (Schmitt, 1991, S. 37).

Wie während den Covid-Zeiten, weiß das Tageblatt wieder im geistigen Zusammenschluss von Wissenschaft und einheitlicher politischen Wahrheit, dass jede wirkliche Demokratie darauf „beruht […], dass nicht nur Gleiches gleich, sondern, mit unvermeidlicher Konsequenz, das Nicht-gleiche nicht gleich behandelt wird. Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen“ (Schmitt, 2017, S. 14).

Demokratisch souverän ist also, wer die staatlichen Feinde bestimmt. Und zur Bestimmung der inneren Feinde ist nichts besser geeignet als die Etikettierung mit schwammigen Begriffen, die sich klaren Grenzen entziehen und deshalb im politischen Machtkampf mit unterschiedlichen Bedeutungen und emotionalen Gehalten aufladen werden können.

Feinde sind aber im Prinzip immer die Anderen: die nicht gleichen, die nicht homogenisierten, sei es aufgrund von ethnischen, religiösen, moralischen, ideologischen, wirtschaftlichen oder politischen Gegensätzen.

Während die offene Gesellschaft solche Diversität und Pluralität der Andersdenkenden auf der Ebene der rationalen Debatte, oder wenigstens der in regelmäßigen Abständen stattfindenden Wahlen aushandelt, greift die neue geschlossene Demokratie der Linken, genauso wie die missbilligte Rechte, auf die „Zähne“ (de Jonge) der wehrhaften Demokratie zurück.

Da solche „Zähne“ aber weniger zum Reden als zum Beißen gemeint sind, darf auch die „demokratische“ Ausschaltung der Andersdenkenden sich nicht auf den alleinigen mediale und politische Eliminierung aus der demokratischen Debatte begrenzen. Mit Zähnen und Krallen, und einer Kombination von andren wissenschaftlich erprobten Strategien, warum nicht mit Fäusten und Pistolen, sollen die Rechtspopulisten und andere Gegner der Demokratie und des europäischen Einigungsprozesses ausgesondert werden.

Wer entscheidet also hier über Freund und Feind der Demokratie? Wer entschiedet darüber, was Freiheit, was Toleranz und was Demokratie bedeuten?

Diejenigen, die in Namen der Demokratie am stärksten zubeißen!

Man wird bemerkt haben, dass solche Fokalisierung auf vermeintliche Demokratiefeinde und auf politische Parteien einen scheinbaren Nebendarsteller aus dem Demokratiebegriff ausschließt: das Volk. Werden Parteien nicht von Bürgern gewählt? Sind Parteien nicht dem Begriff nach politische Verbände, die der Interessenartikulation und Interessenaggregation von Bürgen dienen sollten?

Dass Bürger und deren Belange in solchen wissenschaftlichen Analysen nicht vorkommen, ist kein Zufall. Forschungen wie die von Richard Sennett, Thomas Frank oder Arlie Hochschild, die dem Phänomen des Populismus aus der Perspektive der verstehenden Soziologie von enttäuschten, getäuschten, verletzten und gekränkten Menschen nachgehen, sind den Elitewissenschaften ebenso fremd, wie sie es herablassenden Politikern und Journalisten je waren.  Folgte man aus dieser Sicht den inakzeptablen Wahlentscheidungen des unklugen, uniformierten und manipulierbaren Volkes, wären die Grenzen der Toleranz und der Freiheit schon lange überschritten.

Damit die Demokratie sich erhalte, kann sie folglich nur auf die moralische Vormundschaft gesellschaftlicher Eliten gegründet werden, die mit einer Kombination aus wissenschaftlichen und medienpolitischen Strategien die unerwünschte Pluralität auf eine einheitliche Linie bringen.

Wissenschaft soll dann auch nicht dazu beitragen, Fragen über die Funktion und die Legitimität der Beeinflussung, der Manipulation und Indoktrination in der Demokratie zu klären. Sie soll vornehmlich dazu dienen, die effizientesten Antworten auf die Bedürfnisse der staatlichen und privaten Investoren zu liefern. Politikwissenschaften, Soziologie und Psychologie werden entsprechend auf die technischen Lösungen eines Social Engineering heruntergefahren, das praktische Gebrauchsanleitungen zur erwünschten Meinungs- und Handlungsorientierung des unmündigen Volkes liefern soll.

Die „wehrhafte Demokratie“ erscheint nun als das, was sie ihrem Wesen nach sein soll: als Machtstrategie derer, die das Volk zwar vertreten, aber dennoch mit Verachtung davon abhalten möchte, sich selbst zu regieren.

Literatur

  • de jonge, Leonie und Julian Dörr. 2023. „Interview / ‚Die Linien zwischen Mainstream und rechtem Rand verschwimmen‘“. (https://www.tageblatt.lu/headlines/die-linien-zwischen-mainstream-und-rechtem-rand-verschwimmen/ ).
  • de Jonge, Léonie. 2019. „The Populist Radical Right and the Media in the Benelux: Friend or Foe?“ The International Journal of Press/Politics 24(2):189–209.
  • Kalmes, Albert, Sonja Kmec, Thomas Köhl, Pierre Lorang, Jean-Pierre Nicolay, Michel Pauly, Jürgen Stoldt, Viviane Thill, und Raymond Weber. o. J. „Plädoyer für ein cordon sanitaire gegenüber der ADR – Forum.lu“. Forum 433.
  • Mildenberger, Florian, und Hartmut Schröder. 2012. „Tabu, Tabuvorwurf und Tabubruch im politischen Diskurs“. bpb.de. (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/75862/tabu-tabuvorwurf-und-tabubruch-im-politischen-diskurs/ ).
  • Popper, Karl R. 1975. Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 1: Der Zauber Platons. 4. Aufl. München: Francke.
  • RTL, 22 März 2024. „Invité vun der Redaktioun  – Léonie de Jonge: Och zu Lëtzebuerg gëtt et een Rietsruck an der Politik“. Abgerufen 1. April 2024 (https://www.rtl.lu/radio/invite-vun-der-redaktioun/a/2179818.html).
  • Schmitt, Carl. 1991. Der Begriff des Politischen: Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien. 3. Aufl. der Ausg. von 1963. Berlin: Duncker & Humblot.
  • Schmitt, Carl. 2017. Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus. [1923] Zehnte Auflage. Berlin: Duncker & Humblot.

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1 Comment

  1. Jean

    Ohnehin ist es ein witz wenn vermeintliche verteidiger der demokratie populisten denunzieren…sei es nun rechts oder linkspopulisten.
    Ist die demokratie nicht wenigstens in theorie auf den willen des populus basiert?
    Fuer die antipopulisten ist das niedrige volk allerdings eher ein objekt der verachtung das es zu ignorieren gilt.

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