Luxemburg kann sich wirklich glücklich schätzen: Noch bevor der Wolf nach 124 Jahren wieder eine Pfote ins Land setzte, war man bestens vorbereitet. Der damalige ANF-Vize-Direktor und heutige Leiter des Service Faune et Chasse hatte die Rückkehr des Raubtiers früh erkannt und bereits Vorkehrungen getroffen.
Zu unserem Glück gilt der Biologe und LCIE-Mitglied hierzulande als staatlich anerkannter Allzweck-Experte für alles mit Fell, Kulleraugen oder Reißzähnen. Insbesondere auch der Wolf.
Kritiker werfen ihm zwar gelegentlich Faktenfolklore, eigenwillige Theseninterpretation und Daten-Voodoo vor z.B. in der damaligen Fuchsdebatte (deren posttraumatische Folgen bis heute andauern), doch seinem Einsatz für die Tierwelt tut dies keinen Abbruch. Mit unermüdlichem Einsatz wird uns die Rückkehr des Wolfs bei Infoveranstaltungen als Win-Win-Situation erklärt.
Nebenbei bemerkt, ist der Titel „Wolfsexperte“ nicht geschützt und so ist es auch nicht überraschend, dass es heutzutage mehr Experten als Wölfe gibt. Der Autor dieses Textes gibt auch nicht vor, diesem elitären Expertenkreis anzugehören – ihm geht es nur um ein wenig Faktenpflege und logischer Analyse. Ganz objektiv und mit etwas Augenzwinkern, versteht sich.
Die Wolfsfronten: Zwei Lager, zwei Realitäten

Wie immer gibt es zwei Lager, die unversöhnlich aufeinanderprallen. Auf der einen Seite stehen die Wolfsbefürworter: Umweltorganisationen, Naturfreunde und Tierliebhaber, welche die Wiederansiedlung des Wolfs begrüßen, weil er ja „ursprünglich hierher gehört“ und „die Natur in Balance bringt“. Wenn die Emotionen hoch kochen, wird mit dem Bratpfannenargument jongliert, dass es sich um ein schönes Tier handelt, das man einfach in Ruhe lassen sollte. Interessanterweise haben diese Personen selten etwas mit Landwirtschaft und Tierzucht zu tun oder leben in Gegenden, welche von der Rückkehr des Wolfes nicht betroffen sind.
Auf der anderen Seite stehen die Wolfsgegner: Landwirte, Nutztierhalter und die ländliche Bevölkerung, welche die tatsächlichen wirtschaftlichen und praktischen Auswirkungen durch den Wolf erfahren. Denn wer Nutztiere wie Schafe oder Pferde besitzt oder außerhalb der Stadt wohnt, fühlt sich von der Wolfspräsenz nicht nur romantisch inspiriert, sondern eben auch existenziell betroffen. Während das erste Lager dem zweiten erklärt, wie es mit der Situation umgehen soll, wird auf der Medienbühne gekonnt versucht, mit ausgewählten Statistiken und Fachwissen für Beruhigung zu sorgen. Dass die Zahlen oft sehr selektiv interpretiert werden, ist natürlich nur ein böses Gerücht.
Der Wolf, ein Kulturfolger par excellence
Der Wolf ist kein klassischer Waldbewohner, sondern ein sogenannter Kulturfolger wie z.B. Füchse, Ratten, Tauben oder Wildschweine. Die Nähe zu menschlichen Strukturen hat für ihn erhebliche Vorteile: Hier gibt es reichlich Nahrung, sei es in Form von Nutztieren wie Ziegen, Schafen oder Pferden – aber auch Müll oder Haustieren werden nicht verschmäht. Das Risiko, dass das Schoßhündchen oder Nachbars Katze mal als kleiner Snack herhalten müssen, kann nicht ausgeschlossen werden.
Dass der Wolf in Europa übrigens niemals vom Aussterben bedroht war, sondern lediglich lokal dezimiert wurde, ist eine unbequeme Tatsache, die in vielen Debatten gerne ignoriert wird. Heute sind die Bestände stabil und wachsen kontinuierlich, von Skandinavien bis Italien breitet der Wolf sich aus. Offiziell werden in Europa 21.500 gezählt, wobei die Wolfspopulation besonders in Deutschland angewachsen ist.
Wolfsrisse: Kein Grund zur Aufregung?
Jährlich reißen Wölfe in Europa zwischen 40.000 und 65.000 Nutztiere. Das klingt nach viel, wird aber gern relativiert: Schließlich seien das ja nur 0,02 Prozent der 279 Millionen Nutztiere in Europa. Ein Mückenschiss! Als Binsenweisheit gilt jedoch: Wenn sich die Wolfspopulation weiter erhöht, steigt logischerweise auch die Zahl der Risse.

Auch das gern bemühte Argument, dass mehr Nutztiere von Hunden als von Wölfen gerissen werden, ist ein klassischer Whataboutism, also eine Nebelkerze. Das Problem der Wolfsrisse soll durch den Vergleich mit Hundeangriffen relativiert werden, obwohl es sich um zwei unterschiedliche Sachverhalte handelt. Auf welche offiziellen Erkenntnisse oder Zahlen sich diese Aussage beruft, ist nicht nachprüfbar.
Hunderisse kommen vor, aber der durchschnittliche Haushund ist wohl kaum der Schafskiller par excellence.
Beim Wolf hingegen ist das Reißen von Nutztieren Teil seines natürlichen Verhaltens und leider bleibt es oft nicht bei einem Tier. Das Märchen vom schnellen, tödlichen Biss ist übrigens auch eine Mär, welche in den Köpfen von Naturphantasten herumspukt.
GW950m als Gamechanger
Richtig spannend wurde die Debatte, als sich unter den „wenigen“ Wolfsrissen ausgerechnet das Lieblingspony der EU-Präsidentin befand. Was der Weidewirtschaft jahrelang verwehrt blieb, schaffte der bereits negativ aufgefallene Wolf „GW950m“ 2022 mit diesem präsidialen Happen, nämlich eine institutionelle Reflexkette bis nach Brüssel auszulösen.
Datenerhebungen, Monitoring-Programme, Diskussionen über Abschussfreigaben, auf einmal ging alles schnell.
Inzwischen wurde der Schutzstatus gesenkt, um Problemwölfen wie dem im Nachhinein erlegten GW950m beizukommen. Tja, so schnell kann die Stimmung umschwenken.
Der Mythos der Schutzmaßnahmen
Lösungen wie Herdenschutzhunde, Zäune oder sogar Esel (!) werden oft als Patentrezept verkauft. Tatsächlich sind diese Methoden teuer, aufwendig und nicht immer wirksam. Besonders beim Esel dürfte der Ausgang der Auseinandersetzung kaum den Erwartungen entsprechen. Herdenschutzhunde müssen trainiert, ernährt und betreut werden. Zudem verteidigen sie ihre Herde nicht nur gegen Wölfe, sondern können sich auch mal in unachtsame Spaziergängern verbeißen.
Wolfszäune? Gute Idee! Allerdings sollten sie dann höher als die angegebenen 1,40 m sein, denn Wölfe haben schon „sichere“ Zäune von 2 m überwunden. Zoos setzen deshalb auf doppelte Gehege mit bis zu 3 m Höhe, ohne Garantie, dass es nicht doch mal schiefgeht. Wie der kürzliche Vorfall im Wolfsgehege des Wildtierparks Edersee zeigt, wo eine Wolfsfähe einen 2,88 m hohen Zaun überwand, als sie während einer tierärztlichen Maßnahme in Panik geriet und schlussendlich erlegt werden musste.
In der freien Wildbahn scheinen manche Naturschutzorganisationen aber immer noch zu glauben, dass selbst ein elektrifizierter Drahtzaun den gewieften Caniden dauerhaft aufhält. Die Praxis zeigt: Isegrim ist nicht nur äußerst lern-, sondern körperlich auch zu mehr fähig, als man meint.
Reguliert der Wolf den Wildbestand?

Die Vorstellung, dass der Wolf unsere Wildbestände reguliert und damit die Jagd überflüssig macht, ist äußerst charmant, aber auch ziemlich naiv. In Luxemburg werden jährlich rund 14.000 Stücke Schalenwild von Jägern geschossen. Um die
aktuelle Jahresstrecke zu ersetzen, bräuchte es, bei einem täglichen Durchschnittswert von 2-5 Kilogramm Fleisch, mindestens 300 Wölfe. Die Vorstellung, dass dies realistisch oder auch nur ansatzweise wünschenswert wäre, darf man als absurd bezeichnen.
Wölfe sind auch kein ergänzender Faktor zur herkömmlichen Jagd. Der Grund: Die Wildbestände würden durch seine Präsenz noch scheuer werden, mehr in Bewegung bleiben oder offene Äsungsflächen vermeiden. Zudem werden in Wolfsgebieten die üblichen Jagdpraktiken wie Ansitz- oder Drückjagden erschwert, da Wölfe Hunde als Nahrungskonkurrenten verfolgen und töten.
Wolfi macht also sein eigenes Ding und ist in puncto Jagd kein Teamplayer.
Das verkannte Problem: Hybridwölfe
Auch der Wolf ist, bedingt durch die Nähe zum Menschen, einer gewissen Gefahr ausgesetzt. Es wurde festgestellt, dass die zunehmende Rückkehr des Wolfs in viele Regionen Europas zur gelegentlichen Vermischung mit streunenden oder verwilderten Hunden geführt hat.
Die Gefahr der Kreuzung mit Hunden (oft mangels eines reproduzierbaren Partners) gefährdet den genetischen Pool des grauen Räubers und verändert sein Verhalten, d.h. er verliert seine Scheu und wird unberechenbar.
Unser sagenumwobenes Raubtier riskiert also langsam, zu einer Art Wolfsköter mit Stammbaumproblemen zu werden.
Was kostet der Wolf?
In Frankreich betragen die jährlichen Gesamtkosten für den Wolfsschutz etwa 25 Millionen Euro, bei einer geschätzten Wolfspopulation von knapp über 1000 Tieren. Daraus ergibt sich für die allgemeinen Schutzmaßnahmen eine durchschnittliche Belastung von ca. 80.000 € pro Wolf und Jahr! Damit dürfte Frankreich Spitzenreiter in Europa sein.
Ein weiteres Beispiel, wie die Unkosten aus dem Ruder laufen können, ist der Fall der Ohrdrufer Wölfin, welche vermutlich zwei Jahre in Folge Mischlingswelpen aufzog und damit Kosten von etwa 40.000 Euro verursachte, u.a. für Fallenmieten, Personalkosten usw. Insgesamt ist dieses Exemplar mit 168.333 Euro bis dato wohl Deutschlands teuerster Wolf gewesen.
Luxemburgs Aktionsplan für den Wolf, auf fünf Jahre verteilt, ist 450.000 Euro schwer. Das macht stolze 90.000 Euro jährlich für ein Tier, das gelegentlich mal vorbeischaut, aber partout nicht sesshaft sein will.
Da sich die Entschädigungen für Risse weiterhin im homöopathischen Bereich bewegen, fließt der Großteil des Geldes in Verwaltung, Monitoring und Öffentlichkeitsarbeit.
Kurz gesagt: Selbst ein Wolf, der (leider oder Gottseidank) vor allem durch Abwesenheit glänzt, frisst zuverlässig Steuergeld. Was die Zeche kosten würde, sollte sich je ein ganzes Rudel niederlassen, mag man sich lieber gar nicht vorstellen.
Fazit: Ein komfortables Patt
Der Wolf ist längst mehr als ein Tier. Er ist Projektionsfläche für urbane Natursehnsüchte und Symbol einer wachsenden Kluft zwischen Stadt und Land. Die Debatte dreht sich kaum noch um Artenschutz, sondern zunehmend um Ideologie, genährt von Hochglanzbildern und Wunschvorstellungen statt von Fakten. Die Realität der Wolfsrisse erzählt ein anderes, weniger dekoratives Bild, eines, das man lieber nicht zeigt, weil es nicht ins vorgegebene Narrativ passt.

Nicht zuletzt nutzen manche Naturschutzorganisationen den Wolf gern als Maskottchen für ihre eigenen Agenden, als emotional aufgeladene Projektionsfläche für Fördergelder, Aufmerksamkeit oder moralische Deutungshoheit. Es geht dabei weniger um den Wolf selbst, als um das, was man symbolisch mit ihm transportieren kann.
Klar ist: Der Wolf gehört zur Natur, aber nicht zu einer potemkinschen Märchenkulisse. Seine Rückkehr bringt zweifellos Herausforderungen mit sich, denen man weder mit Verklärung noch mit Verteufelung begegnen sollte, sondern mit Pragmatismus. Akzeptanz entsteht nicht durch dogmatische Grabenkämpfe, sondern durch ehrliche Kommunikation, praktikable Lösungen und Kompromissbereitschaft, vom intelligenten Herdenschutz bis hin zur kontrollierten Entnahme im Ernstfall.
Luxemburg hat bislang Glück, dass Isegrim nur als gelegentlicher Gast auftritt und nicht als Dauermieter mit Familiennachzug. Die Wolfsfreunde dürfen sich über die Stippvisiten freuen, die Skeptiker dürfen durchschnaufen. Doch sollte der Wolf sesshaft werden, braucht es mehr als romantische Begeisterung. Luxemburg hat zwar einen Wolfsmanagementplan, der auch den Ernstfall regeln soll. Die entscheidende Frage ist jedoch: Wird man im Problemfall tatsächlich das letzte Mittel auch anwenden – oder es lieber schönreden?
Tatsächlich bedeutet der Wolf nicht das Ende der Landwirtschaft, genauso wenig wie ein entnommener Problemwolf das Ende der Art bedeutet.
Joe Wissler