Die Wahrheit ist ein Verdacht, der andauert.
Ramón de Campoamor y Campoosorio (1817 – 1901), spanischer Schriftsteller und Jurist
Die Philosophie ist für manche der Weg um objektive Wahrheiten über die Welt zu entdecken. Für Karl Jaspers, ein Philosoph und Psychiater, der von 1883 bis 1969 lebte, war dies auch ein persönlicher Kampf. Er war stark von Kierkegaard und Nietzsche beeinflusst und gilt als Vertreter der Existenzphilosophie, einer philosophischen Richtung, die im Zentrum ihres Denkens die Existenz des Menschen im weitesten Sinne hat. Interessant dazu zu wissen, dass Søren Kierkegaard in der Philosophie eine Sache des mit der Wahrheit kämpfenden Individuums sah, der bereits erwähnte Karl Jaspers ein Mittel unserer eigenen Versuche, die Wahrheit zu finden. Da Philosophie ein individueller Kampf sei, so Jaspers in seiner Schrift „Über meine Philosophie“ aus dem Jahre 1941, könnten wir nur als Individuen philosophieren. In dem Sinne seine höchst interessante Schlussfolgerung, dass wir die Wahrheit selbst entdecken müssten, niemand sonst kann sie uns sagen. Und das sieht der Schreiberling dieser Zeilen schon mal als Lebensaufgabe, verbunden mit dem Versuch, sein eigenes Hirn zu benutzen, um der Wahrheit zumindest auf die Spur zu kommen. Blindes Vertrauen auf irgendein allgemein geltendes Narrativ, das uns medial in sämtlichen Formen vermittelt wird, ist für ihn demnach schon mal zu hinterfragen, sich folglich über die diversen Positionen einer Fragestellung zu informieren und sich daraus schlussfolgernd eine eigene Meinung zu bilden, demzufolge den „kleinen Philosophen“ in sich selbst aufgrund persönlicher Lebenserfahrungen zu bemühen.
Wenn man sich dies allerdings im aktuellen Kontext zu erlauben wagt, und seine Position darüber hinaus auch noch öffentlich macht, bewegt man sich schon mal auf sehr dünnem Eis, riskiert sich unangenehmen Diskussionen stellen zu müssen und sich sehr unbeliebt zu machen. Wenn man sich beispielsweise gewisse medial veröffentlichte, vermeintliche „Wahrheiten“ im Dauerbrenner „Corona-Pandemie“ genauer ansieht, dann stößt man auf folgende glatte Lüge, die allerdings von der großen Mehrheit sofort als absolut glaubhafte „Wahrheit“ gefressen wurde – und immer noch wird! Ein Medium mit sehr fragwürdigem Umgang mit der „Wahrheit“ ist natürlich Facebook. Am 18. März 2020 hatte ein Nutzer auf Facebook im Kontext „Corona“ ein weltbekanntes Foto mit Särgen in Italien publiziert, mit der Behauptung, dass diese Leichen alle (vermeintliche) „Corona-Tote“ gewesen wären. Dazu ein entsprechend dramatischer Text mit der Aufforderung: „Vielleicht ist das ein Grund, dass alle mal zu Hause bleiben. So schaut’s in Italien aus.“ Das Foto war zwar tatsächlich ein Foto aus Italien, das allerdings nicht im Zusammenhang mit Corona aufgenommen wurde, sondern bereits im Jahre 2013, präzise am 16. Oktober desselben Jahres, im britischen „Guardian“ erschien. In den darauf abgebildeten Särgen lagen selbstverständlich keine Corona-Toten, die es damals selbstredend nicht geben konnte, sondern afrikanische Flüchtlinge, die vor der italienischen Küste ertranken und ihre Särge in einem Hangar im Flughafen von Lampedusa zeigte. Historiker analysierten das Foto genau und waren sich der effektiven Wahrheit sehr schnell bewusst. Nur: der veröffentlichte Irrsinn hatte den Schaden der Falschinformation schon längst angerichtet, die öffentliche Meinung wurde demnach bereits nachhaltig manipuliert. Wie kann man das in der Tat noch korrigieren, wissend, dass das größte Problem unserer Zeit darin besteht, dass die Mehrheit rein gar nichts mehr überprüft, sondern aufgrund der Schnelllebigkeit unserer Zeit nichts mehr hinterfragt, ganz einfach alles ungeprüft glaubt. Besonders weil eben von Bildern und Fotos Glaubwürdigkeit und Wahrheit erwartet wird, ein fataler Irrtum, wie jeder kritisch denkende Zeitgenosse längst weiß. Soweit dazu.
Zurück zu den Philosophen. Karl Jaspers meint, dass wir Wahrheit nur allein begreifen können, die Erfolge unserer Bemühungen dagegen nur in Auseinandersetzung mit anderen wahrnehmen und so die Grenzen unseres Bewusstseins erweitern können. Jaspers betrachtet seine eigene Philosophie nur insofern als „wahr“, als sie der Kommunikation mit anderen dient. Da uns andere keine fertigen Wahrheiten liefern können, ist Philosophie eine kollektive Bemühung. Die individuelle Suche nach der Wahrheit – und da sind wir heuer wieder hochaktuell – wird in der Gemeinschaft mit den „Gefährten im Denken“, mit Gleichgesinnten ausgetragen, Menschen, die den gleichen persönlichen Kampf ausfechten. Der (kleine) Philosoph lebt demnach im unsichtbaren Reich des Geistes und kämpft um die Wahrheit. Das Denken der Philosophen fungiert als Wegweiser zu möglichen Erklärungswegen. Anders betrachtet, sollte man sich auf dem Weg der Erkenntnis der Wahrheit fragen, ob alle Dinge logisch miteinander vereinbar sind, denn nur dann liegt „Kohärenz“ vor. „Komplettheit“ ist erreicht, wenn man alles Relevante zu diesem Thema bedacht hat. Kann man schließlich genügend Beweise für die Wahrheit vorbringen, dürfte die persönliche Einsicht „korrekt“ sein.
“Wahrheit” (griechisch aletheia, lateinisch veritas), die Suche nach der Wahrheit, ist seit jeher ein zentrales Thema der europäischen Philosophie, kaum einem anderen hat sie sich so beständig gewidmet. Denn das mit “Wahrheit” letztlich Gemeinte ist von vitalem menschlichen und keineswegs nur von akademischem Interesse. Und das kann man durchaus gesamtgesellschaftlich gesehen weiterspinnen. Das zeigt sich aktuell etwa an der öffentlichen Corona – Debatte, im weiteren Kontext der Erfindung sogenannter “alternativer Fakten” im Umkreis des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Ist es nicht so, dass man sich ebendiesen Vorwurf des Benutzens oder Verbreitens dieser „alternativen Fakten“ in einer heuer real existierenden gespaltenen Gesellschaft, deren fatale Risiken und Gefahren sehr ernst zu nehmen sind, gegenseitig an den Kopf wirft und das in einer Streitkultur, die diese Bezeichnung längst nicht mehr verdient? In einem Kampf, der sehr weit in sämtliche Bereiche der Gesellschaft eindringt? Ein Kampf, der sogar auf der Straße stattfindet, Familien und Freundeskreise sprengt und unsere Gesellschaft sehr ernst spaltet. Soll diese Spaltung der Gesellschaft mit den altbekannten Methoden des „ Divide et impera “ etwa das erklärte Ziel derer sein, die für sich die einzig gültige „Wahrheit“, die dem Mainstream zu gehorchen hat, reserviert zu haben scheinen? Ist das ein politisch verantwortliches Handeln, etwa im Sinne einer des Realismus‘ entsprechenden politischen Philosophie des Niccolò Machiavelli, nach dem folgenden Modell: „Der Erfolg eines Staates oder einer Nation hat absolute Priorität“ – „Wer in Staat oder Nation regiert, muss darum kämpfen, sodass sein Ruhm und sein politischer Erfolg gesichert sind“. Daher können die Herrschenden nicht von Moralgeboten eingeschränkt werden. Und schlussendlich: „Der Zweck rechtfertigt die Mittel!“ Ach wie sagten schon zwei vor langen Jahren sehr bekannte deutsche Journalisten, der eine ein Schwarzer, der andere ein Roter: „Noch Fragen, Kienzle? Nein. Hauser!“ Doch dieser Themenkomplex der historisch berühmten Ansichten Machiavellis um die politische Macht, die besonders Diktatoren wie Benito Mussolini so hochschätzten, sollen in diesem Beitrag nur am Rande bemerkt werden, und trotzdem…
Wir fragen uns, “Was ist wahr?” und meinen damit: Was ist “echt“? Was ist “fest“? Was ist “verbindlich“? Oder auch: „Was trifft zu?“ Sprich all das, worauf das man sich verlassen, auf das man bauen kann. “Wahrheit” ist eine Grundfrage für uns Menschen, faktisch ein Grundbedürfnis, das wir für unser Leben erhalten müssen. „Die Wahrheit haben ist des Himmels Weg, die Wahrheit suchen ist der Weg des Menschen.“ So Konfuzius. Die Suche nach der Wahrheit kann als das eigentliche Ziel aller Philosophie gesehen werden. Für Platon stellt das Wahre, ebenso wie das Schöne oder das Gute, einen absoluten Wert dar. Dann geht es natürlich um die (heuer wiederum aktuelle) Debatte um die Wahrheit, die natürlich auszuarten droht, wie wir wissen. Vielleicht deshalb eine philosophische Position der „Mitte“ die durchaus interessant sein kann: „Wahrheit ist etwas Relatives“, so Dr. Philipp Blum von der Universität Genf: „Kann ich wirklich mehr behaupten, als ein Satz wahr für mich ist? Diesem Relativismus liegt jedoch eine Verwechslung zugrunde: Auch wer Wahrheit beansprucht, kann sich belehren lassen, andere Meinungen tolerieren und sich selbst nicht sicher sein. Wahrheit und Unfehlbarkeit sind zwei ganz verschiedene Dinge, und unfehlbar bin ich auch dann nicht, wenn ich recht habe. Ganz im Gegensatz setzt echte Toleranz die Absolutheit der Wahrheit voraus: Nur wenn wir uns beide wirklich widersprechen, das heißt beide Wahrheit beanspruchen, obwohl nur einer recht haben kann, ist die Akzeptierung der anderen Meinung ein Eingeständnis, die Wahrheit nicht gepachtet zu haben.“
Doch konziliante Positionen beruhigen längst nicht immer, besonders dann, wenn die Wahrheit ans Licht kommt – und dann kann es durchaus sehr ungemütlich werden…