Sein Mut, seine Würde, seine Integrität machen ihn zu einem Vorbild für uns alle.
António Lobo Antunes
“Die Opportunität sticht die Integrität“, warf der nun (zumindest vorläufig) abgetretene und nicht mehr für den Bundestag kandidierende SPD-Abgeordnete Kevin Kühnert dem CDU-Vorsitzenden Merz in seiner letzten Rede vor dem Bundestag vor. Friedrich Merz, der – wie erwartet – den Wahlkampf – nicht so klar wie von ihm erwartet – zwar für die Union der „christlichen“ Parteien Deutschlands „gewinnen“ konnte, handele, so Kühnert in seiner wirklich beachtlichen letzten Rede im deutschen Bundestag, nicht aus einer Überzeugung heraus, sondern danach, was aus seiner (Merz‘) Sicht gut bei der Bevölkerung ankomme. „Ein Bundeskanzler, dessen Mund bloß wiedergibt, was sein Ohr zuvor gehört hat, ist nicht mehr als eine Echokammer auf zwei Beinen.“ Als seine Redezeit schon abgelaufen war und er bereits von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ermahnt wurde, appellierte Kühnert noch an die Abgeordneten: „Schützen wir das, was wir lieben! Schützen wir unsere Demokratie!“ Eine wahrhaftig weitsichtige, mehr als angesagte Aufforderung eines jungen Politikers, der im Bundestag furchtbar fehlen wird und der natürlich nie in das zukünftige Programm des Neoliberalen Kanzlers Merz gepasst hätte. Wahrlich Schade!

Kühnert stand am Ende der dreieinhalbstündigen Debatte auf der Rednerliste. Er nahm die gemeinsamen Abstimmungen von Union und AfD zur Migrationspolitik zum Anlass, den (nun gewählten) Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz sehr grundsätzlich zu kritisieren. Er erinnerte daran, dass wegen dieser Abstimmungen mit Michel Friedman der prominenteste in Deutschland lebende Jude aus der CDU ausgetreten ist. “Es gab Zeiten, da wäre anschließend in der CDU kein Stein auf dem anderen geblieben, heute wird der Störenfried angestrengt ignoriert”, sagte Kühnert – heute schon wieder vergessen. So funktioniert die schnelllebige Welt eben…Die demokratischen Parteien müssten immer den bundesrepublikanischen Grundkonsens verteidigen, so wie es die CDU- und SPD-Kanzler in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik getan hätten, so Kühnert weiter im Text, etwa bei der Verteidigung des Existenzrechts Israels oder der Westbindung. “Adenauer, Brandt, Schmidt, Weizsäcker und Kohl haben sich für ihre Überzeugungen als ‘Büttel der Amerikaner’ und ‘rote Brüder’ beschimpfen lassen”, sagte Kühnert. “Sie rangen für ihre Überzeugung und die Geschichte gab ihnen recht.”
Eben diese Bereitschaft sprach er dem aktuellen CDU-Vorsitzenden ab. “Sie geben das Ringen zunehmend auf und das kritisiere ich”, sagte er. “Ein Bundeskanzler, dessen Mund aber bloß wiedergibt, was ihm zu Ohren kommt, der ist nicht mehr als eine Echokammer auf zwei Beinen. Und Echokammern haben wir schon genug in diesem Land.” Eine phantastische Rede eines beachtlichen Jungpolitikers der wahrlich mehr als fehlen wird. Die Stimme des Gewissens, der politischen Integrität, die in letzter Zeit zur Farce degradiert wurde – und das nicht nur in Deutschland! Es lohnt sich, auch hierzuländchen (siehe auch die rezenten völlig inakzeptablen Entgleisungen unseres Herrn Außenministers) darüber nachzudenken…
Szenenwechsel: Wir gehen in der Zeit sehr weit zurück und stellen eine philosophisch tiefgründige Frage, die allerdings hochaktuell ist: Was ist Aufklärung? Immanuel Kant schrieb dazu im Jahre 1784: “Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit”. Und er erläuterte ferner: “Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen.“ Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Kants Konzept der Aufklärung auf der Idee basiert, dass jeder Mensch die Fähigkeit und die Verantwortung hat, seinen eigenen Verstand zu nutzen. Der Weg zur Aufklärung erfordert Mut, kritisches Denken und die Freiheit, seine Gedanken öffentlich zu äußern. Und es sieht in diesem Kontext in der Tat sehr schlecht aus, sowohl um die Integrität in der Politik, als auch um die Meinungsfreiheit. Und ja, es fehlt der Mut zu korrekten politischen Entscheidungen in einer breitgeführten, partizipativen Debatte, in der die Bürger sich eingebunden fühlen und wieder Vertrauen in unsere liberalen Demokratien aufbauen können. Denn wie ernst die Lage ist, hat das deutsche Wahlresultat wohl leider bestens bewiesen. Ein knallender Schlag ins Gesicht der etablierten Parteien, die sich „demokratisch“ schimpfen und vor dem Scherbenhaufen ihres Versagens stehen. Und dabei riskieren die modernen Mittel der (a)sozialen Medien in einer Welt, die den Verstand verloren zu haben scheint, jene zu verteufeln, die sich als gute Politiker, die es noch ernst meinen, psychisch so zu ruinieren, dass sie aus gesundheitlichen Gründen das Handtuch werfen müssen – heuer ein brisantes Thema in Deutschland…
Was kommt noch alles auf uns zu?