„Die guten Redaktionen sollten ihre Siele geschlossen halten, damit der ganze Dreck von unten nicht durch ihre Scheißhäuser nach oben kommt.“
So der bestbekannte und von der deutschen politischen Klasse ob seiner bissigen Kommentare gefürchtete „stern“- Kolumnist Hans-Ulrich Jörges anlässlich der Vorstellung des Buches „Alpha-Journalisten“, das im Januar 2007 von Stephan Weichert und Christian Zabel herausgegeben wurde. Das Buch stellte 30 sogenannte Alpha-Journalisten als Tonangeber des deutschsprachigen Journalismus als „Funktions- und Leitungselite“ vor. Ein Zitat mit jahrelangen Folgen für den exzellenten Journalisten übrigens…
Die Hobby-Schreiberei im Netz ist für Jörges jedoch wahlweise „Dreck von unten“ oder – Achtung, Wortwitz – „loser generated Content“. Demnach die „Abgrenzungshysterie“ als Dilemma des publizierenden Berufsstandes, meint deren Angst vor Hobbyschreiberlingen oder das plötzliche Auftauchen fröhlich und in aller Öffentlichkeit vor sich hinschreibender Blogger – ein Trauma für Berufsjournalisten? Zumindest für einige von ihnen? Jedenfalls müssen diese schon ein Problem mit jenen haben, die es sich erlauben, ob der vielfältigen Möglichkeiten des Internets als ungeliebte Eindringlinge in das sicher geglaubte Terrain des Berufsjournalismus‘ eingeschätzt zu werden. Doch genau genommen hat das Internet lediglich dafür gesorgt, dass in einem kleinen Segment unserer Existenz, meint im Bereich des Publizierens, endlich die gleiche Normalität herrscht wie in anderen Lebensbereichen. Denn das Recht auf die in irgendeiner Form publizierten freien Meinungsäußerung darf nicht nur für eine gewisse Berufsgruppe reserviert sein. Demnach täte ein Journalist wahrlich besser daran, sich beruflich nicht zu Themen äußern, von denen er selbst betroffen ist. Denn er tut sich und seiner Klientel damit keinen Gefallen. Geht es um Amateur-Publizistik, sollten die Profi-Publizisten vielleicht einfach mal ihre Klappe halten, sich nicht mehr über Blogs und andere partizipative Medienformen des Internets (siehe beispielsweise eben die hier genutzten) von Berufs wegen äußern – genau dann verhielten sie sich nämlich professionell. In diesem Sinne sollen ebendiese Zeilen eines unabhängigen Schreiberlings gedacht sein, der seine ungefragt verfassten Beiträge nur als persönliche Bürgerpflicht in einer abzulehnenden Zuschauerdemokratie ansieht und eben die Möglichkeiten zu nutzen versucht, die das Internet in seiner Vielfalt ihm und vielen anderen für das Recht auf freie Meinungsäußerung anbietet. Deshalb auch ein persönlicher Dank an den Anbieter! Auch das muss einmal gesagt sein…Und glücklicherweise (und da muss man Hans-Ulrich Jörges ausdrücklich zustimmen) bietet das Netz andere Möglichkeiten als idiotische Hasskommentare oder sonstigen Unsinn in den asozialen Medien, die Jörges mit seinem eingangs erwähnten Zitat nach eigenen Aussagen eigentlich visierte – auch wenn andere sich angegriffen fühlten. Das ist natürlich ein Risiko, das man mit solchen Äußerungen eingeht – und das hätte Jörges eigentlich wissen müssen! Doch das Polarisieren war (glücklicherweise) bei ihm Programm…
In dem Sinne ist demnach das einführende Zitat von Hans-Ulrich Jörges, eines wahrlich bedeutenden Journalisten, der heuer definitiv in Rente geht und der auch den „stern“ – Lesern hierzulande durchaus ein Begriff sein dürfte, in seiner Konsequenz wohl doch als sein bekanntester Flop zu bezeichnen. „Ich bin anders, ich bin besser“, wie auch er sich wohl angesichts seines eigentlich eher überheblichen Zitates, das nicht nur in Deutschland für Furore sorgte, selbst sah. Im Stil von: „Wir sind journalistische Qualität“ – und ausschließlich wir! Nur, die Damen und Herren Journalisten vergessen dabei, dass niemand das je in Frage gestellt hat. Überhaupt nicht, im Gegenteil! Denn qualitativ hochwertiger, kritischer und vor allem unabhängiger Journalismus ist in dieser Welt der „Fake news“ und der Irreführung im Internet mehr als angesagt, ja wichtiger als je zuvor! Und ein aufgeklärter, kritischer und mündiger User weiß sehr wohl, die Spreu vom Weizen zu trennen…
Hans-Ulrich Jörges, den jeder in seinen Kreisen Uli nennt, war nie die Nummer eins beim „stern“, aber lange Zeit so etwas wie sein Gesicht. Das als omnipräsenter Gast in Deutschlands Polit-Talkshows – in den letzten Jahren allerdings, dies aufgrund seiner oft polarisierenden Statements, eher nicht mehr, wie er sich in einem Interview beklagte – und als meinungsstarker Kolumnist des weltweit bestbekannten Nannen – Magazins. Nun ist Schluss damit: In seinem aktuellen, von der Politprominenz jahrelang gefürchteten „Zwischenruf aus Berlin“ kündigt der 68-Jährige seinen Abschied an. Jörges war zwischen 1985 bis 2017 – mit Zwischenstationen bei „Süddeutscher Zeitung“ und „Woche“ – festangestellter Redakteur beim „stern“, die letzten zehn Jahre gehörte er der Chefredaktion des Magazins an. Jörges war überdies Chefredakteur für Sonderaufgaben des Verlags Gruner+Jahr. Er präsentierte sich in seinem „Zwischenruf“ stets meinungsstark, von sich und der eigenen Bedeutung durchaus (und das wurde ihm vorgeworfen) eingenommen, polarisierte er eben auch in den eigenen Reihen. Beruflich überlebte er diverse Vernichtungsversuche aus der Politik, so anscheinend auch jenen, der von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder erfolglos unternommen wurde. In der letzten Kolumne aus seiner Feder im stern bestätigte der streitbare Journalist, dass dieser fragwürdige Sozialdemokrat als «Genosse der Bosse» zweimal versucht habe, ihn „beruflich zu vernichten“: Zitat: „Beide Male spielte sich das auf einem Bertelsmann-Empfang in Berlin ab, im Abstand von einem Jahr. Ich stand jeweils 20 Meter von der Szene entfernt. Beim ersten Mal sagte jener Kanzler dem Verlagschef von Gruner + Jahr, er solle mir das Maul stopfen. Im folgenden Jahr verlangte er, mich zu feuern. Als er zur Antwort bekam: Das ist bei uns nicht üblich, erwiderte er: Dann seid ihr euer Geld nicht wert. Der Verleger kam nach den Gesprächen jeweils direkt zu mir, um zu berichten. Ein aufrechter Mann.“
Egal wie: Jörges geht. Journalisten seiner Klasse darf man vermissen – und, so Jörges abschließend – siehe Titel dieser Zeilen: «Es musste immer ein bisschen Rock’n’Roll dabei sein!».
Sein Name war eben journalistisches Programm…Klasse eben!
Er wird fehlen…
Frank Bertemes