Das Christentum gab dem Eros Gift zu trinken – er starb zwar nicht daran, aber entartete, zum Laster.
Friedrich Nietzsche
Die römisch-katholische Kirche wird heuer mit nachhaltiger Wirkung vom Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch ihre Amtsträger erschüttert. Die Aufarbeitung dieser schwerwiegenden Verbrechen, die besonders die Opfer betreffen, ist allerdings umstritten; viele Opfer sind zu Recht empört. Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Die verpflichtende Ehelosigkeit und die eingeforderte sexuelle Enthaltsamkeit ihrer Priester, die Ablehnung der Frauenpriesterschaft und das Verhältnis zu Sexualität und Macht stehen in der römisch-katholischen Kirche nachdrücklich zur Diskussion. Historisch betrachtet hatte der heilige Kirchenlehrer Augustinus weitreichenden Einfluss auf das gestörte Verhältnis des Klerus zur Sexualität, die für ihn etwas Sündhaftes war, eine einseitige, sexualfeindliche Einstellung, die faktisch leider zum generellen Dogma der Kirche wurde. Und diese Einstellung prägte die vom Pflichtzölibat im Kontext der sexuellen Lust gestörte, weil unterdrückte Lebensfreude der Menschen innerhalb der katholischen Kirche – und sicherlich nicht nur die Kleriker allein. Weshalb dies so lange so sein musste, fragt sich so mancher Zeitgenosse angesichts dessen, was sich ob der diversen Missbrauchsskandale unmissverständlich manifestiert hat und diese Glaubensgemeinschaft, der so viele Menschen ihr Vertrauen schenkten, in ihren Grundfesten tief erschütterte. Immer mehr Gläubige wenden sich ab und suchen sich einen anderen spirituellen Weg. Muss man sich darüber wundern? Die Amtskirche mit ihrer reaktionären Führung im Vatikan, wo der Einfluss der stockkonservativen Kräfte leider immer noch den eigentlich längst überfälligen Reformprozess der katholischen Kirche blockiert, setzte sich nie glaubwürdig mit dem grundsätzlichen Stellenwert von Sexualität, Ehe und Amtszölibat auseinander – war und ist das tatsächlich Absicht? „Schätzungsweise mehr als ein Drittel der Zölibatäre bricht den Zölibat mit Frauen, ein weiteres Drittel liebt homophil oder homosexuell – der Zölibat, eine institutionalisierte Unwahrheit, das Resultat systematischer sexueller Unterdrückung (…)“ So der Spiegel in einer Einschätzung der Situation, die von ehemaligen Klerikern bestätigt wird, wissend, dass ebendieser Zölibat gewisse Kleriker in ihrer krankhaften sexuellen Veranlagung im Kontext des an dieser Stelle thematisierten Missbrauchs durchaus arrangiert! An dieser Feststellung kommt man nicht vorbei…
Bedenklich ist die von einigen stockkonservativen Würdenträgern leider immer noch vertretene Einstellung, dass neben ihrer gelebten Praxis des Schweigens und Vertuschens, die sexuellen Verbrechen von Klerikern – so eine ehemalige Nonne, Theologin und Philosophin – im kirchlichen Strafrecht „nur“ als „sexuelles Vergehen“ eines Klerikers in dessen Verletzung gegen die Zölibats Pflicht betrachtet werde, die Kirche in ihrem selbst definierten „Strafrecht“ keine „Opfer“ kennen würde, übrigens auch keine „Täter“ , sondern nur einen „Sünder“, dem dann „vergeben“ wird. Wobei man sich die Frage nicht verkneifen kann, ob die Amtskirche aufgrund ihres kriminellen Versagens die Opfer nicht auch noch als „Sünder“ betrachtet – Menschen, Kinder, Jugendliche, deren persönliches Schicksal, oft verbunden mit lebenslangen Traumata, man ganz einfach lange Jahre, gar Jahrzehnte, ganz einfach und ungeniert ignorierte, darüber hinaus mit der Duldung des Staates, der oft unter der Fuchtel der Catholica „agierend“, ohne irgendeine Reaktion wegzuschauen sich erlaubte? Konnte, ja kann das tatsächlich so einfach sein? Glücklicherweise hat sich ob des massiven Drucks der Öffentlichkeit nach den sich outenden, psychisch schwer belasteten Opfern und der medial thematisierten Gerichtsprozesse zumindest die offizielle Haltung der Kirche geändert und die Täter werden als Verbrecher der öffentlichen Gesetzgebung überstellt. Doch ist das immer so, gehen die Spielchen der Ignoranz, des Schweigens und des Vertuschens nicht doch noch so weiter wie gehabt? Zweifel darf man angesichts dessen, was da so abgegangen ist, durchaus immer noch haben – trauen kann man der Amtskirche mitnichten! Beispiele zweifelhaften Verhaltens gewisser Kleriker in führenden Positionen ihrer Kirche gibt es immer noch- Wie lange noch?
Das Grundübel des gestörten Verhältnisses des Klerus zum Eros ist noch längst nicht fundamental behandelt, die tiefliegende Aufarbeitung des Grundproblems wird, verbunden mit einem in dieser Hinsicht längst überfälligen Reformprozess innerhalb der Kirche, wohl noch lange dauern.