Lesen und Schreiben
“Den Kern bewahren, Werte und den Fortschritt leben.”
nach Aristoteles
Die Schreibschrift ist Ausdruck der Individualität. Aktuell in der Bildungsdebatte ist die Frage des Lesens und Schreibens im Kontext der Digitalisierung. So wie die Frage „Verlernen wir das Lesen?“ kann man gleichwohl jene des Schreibens aufwerfen, genauer jene der Handschrift, die genauso verlernt zu werden droht wie das klassische Lesen. Gerade die eigene Schrift sagt so viel über uns aus, sie ist ein Teil unserer Persönlichkeit. Die Handschrift ist eine Form der Körpersprache, die uns ein Leben lang begleitet. Das Schreiben auf Papier, im Gegensatz zum Tippen auf dem PC, aktiviert viele Gehirnareale gleichzeitig, fördert die Vorstellungskraft, die Kreativität, verbessert die Rechtschreibung und die Merkfähigkeit. Die Schrift ist die Spur des Gedachten im Gehirn. Somit ist das handschriftliche Erstellen eines Textes besonders wertvoll. Besonders in unserer modernen Zeit der komplexen Problemstellungen und der Informationsflut. Schrift verbindet, Schrift will Aufmerksamkeit und Schrift ist ein Transportmittel der Sprache. Schrift ist aber nicht nur Mitteilung, sondern auch Zuwendung und sie vermag Gefühle zu vermitteln – ein weiterer schöner Aspekt! Die Realität? In Finnland wird im Sinne der allesbeherrschenden Digitalisierung die Handschrift abgeschafft! Mit fataler Signalwirkung?
Die Handschrift stellt, so wie unsere Stimme auch, etwas sehr persönliches dar. Leider scheint es für die heutigen Schüler immer schwieriger zu sein, diese zu benutzen und vor allem die Buchstaben miteinander zu verbinden. Sind Schüler feinmotorische Idioten geworden? Welche Auswirkung hat das? Europäische Bildungsexperten beobachten eine Verkümmerung der Schrift bei Studenten, ein Spiegel der Sprachverkümmerung. Grammatik, Orthographie und Stil gelten anscheinend nichts mehr, weil alle schreiben, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Die Hirnforschung sagt uns, dass beim Verbinden der Buchstaben zu Wörtern die kognitive Fähigkeit trainiert wird, Wörter zu Gedanken zu verbinden und zu behalten. Das Erlernen der Schreibschrift ist demnach ein wichtiges Hirn-Training, um Zusammenhänge besser erfassen und sich Dinge leichter merken zu können. Wer immer nur einzelne Tasten tippt oder Buchstaben schreibt, die nicht miteinander verbunden sind, tut sich schwerer damit, Zusammenhänge zu erkennen und darzustellen, und er vergisst auch schneller. Es ist wie mit dem Kopfrechnen: Viele glauben, das sei nicht mehr nötig, da heute doch jedes Smartphone über einen Taschenrechner verfüge. Die Vernachlässigung des Kopfrechnens hat dazu geführt, dass viele junge Menschen nicht mehr in der Lage sind, einfache Beträge im Kopf zusammenzurechnen.
Die Forschungsinitiative E-Read (Evolution of Reading in the Age of Digitalisation), ein Netzwerk von Wissenschaftlern aus mehr als 30 Ländern, erforscht die diversen Veränderungen des Lesens durch die Digitalisierung. Dass in diesem Kontext ebenfalls der Zusammenhang mit dem Schreiben besteht, dürfte wenig verwundern, weil im Zeitalter des Homo Digitalis neben dem Lesen ebenfalls das Schreiben in klassischer Form verkümmert und sogar zu verschwinden droht. Das handschriftliche Lernen, so die Experten, fällt uns leichter, weil jeder Buchstabe seine eigene Bewegungsmelodie hat. Auf der Tastatur sind alle Buchstaben identische Anschläge mit den Fingerspitzen, die Schreibschrift vereint dagegen Motorik und Visuelles, das Schreiben von Briefen per Hand aktiviert andere Teile im Gehirn als das auf der Tastatur. An Dinge, die wir handschriftlich notieren, erinnern wir uns besser. Heuer aktuell auch in unserem Ländchen ist eine weitere Variante moderner, digitaler Ausbildung, die der Schreibschrift dann wohl das definitive Ende bereiten wird: der Digitalpakt, der Schulen mit Smartphones, Tablets und Laptops ausstatten wird. Die Schule der Zukunft – mit allen Risiken und Nebenwirkungen! Der Wert des Lesens verändert sich, eine neue Art des Lesens etabliert sich: über die ersten Zeilen huschen, dann diagonal scannen, im Zickzack durch die Texte kreuzen – Hauptsache schnell und schneller. So wird das Überfliegen zur Gewohnheit, die Gefahr, oberflächliche Leser und damit auch jene, nur mehr pur oberflächliche Menschen zu werden, steigt unweigerlich. Eine Reihe empirischer Studien zeigt, dass Texte auf Computer, Smartphone oder Tablet eher überflogen als konzentriert durchgelesen werden. Wobei man ebenfalls bemerken muss, dass die Fähigkeit, zu sprechen, zu sehen und zu hören uns angeboren ist, das Lesen wir uns aber erst mittels lernen erarbeiten müssen. Besonders interessant wird dann die Tatsache, dass ebenfalls die Qualität dessen, was man liest, durchaus einen Unterschied machen kann. Es scheint in der Tat eine Rolle zu spielen, ob wir Texte lesen, die es uns erlauben, Empathie zu empfinden und uns in die Figuren hineinzuversetzen – was für unser soziales Leben sehr wichtig ist. Genauso wie für unsere Fähigkeit zum logischen Denken und zum Empfinden von Schönheit.
Bei der Diskussion über die Vor – und Nachteile des digitalen Lesens ist der Aspekt der geistigen Gesundheit ebenfalls ganz entscheidend. Laut einer Studie der Universität Sussex entspannen sich bereits nach sechs Minuten, die man in einen Roman vertieft verbringt, die Muskeln, das Herz schlägt langsamer. Schwedische Studien deuten darüber hinaus darauf hin, dass Lesen unser Leben verlängert. Es gibt demzufolge Zusammenhänge zwischen dem Leseverhalten und der Zahl der Arztbesuche oder dem Verbrauch von Medizin, sowie dem Besuch der Schulbibliothek und einer geringeren Wahrscheinlichkeit für Depressionen oder einen Schulabbruch. Eigentlich eine sehr einfache und wirksame Methode, die vielen depressiven oder suizidgefährdeten Menschen, besonders Jugendliche, präventiv zu behandeln und das mit sehr einfacher, völlig unbelasteter Medikation.
Bewahren wir uns also trotz aller digitaler Verführungselektronik die Klassiker, die „Basics“ aller Bildung: lesen, schreiben und rechnen !
Im Endeffekt wird es sich für unsere Gesellschaft garantiert lohnen!
Frank Bertemes