Von einem, der täglich radelt.
Ich fahre jährlich zwischen 12.000 und 15.000 Kilometer mit dem Fahrrad – und etwa ebenso viele mit dem Auto. Ich kenne also beide Perspektiven: den Blick aus der Windschutzscheibe ebenso wie den vom Sattel aus. Gerade deshalb kann ich mit Überzeugung sagen: Luxemburg bleibt für Radfahrerinnen und Radfahrer ein feindliches Land – trotz aller politischen Bekenntnisse, Strategiepläne und Aktionspakete.
Im Luxemburger Wort vom 20. Oktober war in einem groß angelegten Artikel zu lesen, dass Ministerin Yuriko Backes ehrgeizige Ziele verfolgt: Sie wolle die Luxemburger zum Radfahren bewegen, jährlich 20 Kilometer neue Radwege bauen und die Verkehrswende endlich konkret vorantreiben. Backes sprach von einer „absoluten Ambition“. Man darf der Ministerin durchaus abnehmen, dass sie es ernst meint. Ihr guter Wille ist erkennbar. Doch ebenso offensichtlich ist die Realität – und diese liegt meilenweit entfernt von den wohlklingenden Absichtserklärungen, die in Konferenzsälen und Pressegesprächen formuliert werden.

Zwischen Wunschdenken und Wirklichkeit
Viele der Verkehrsprobleme, die heute beklagt werden, bestehen seit Jahren. Schon lange wird kritisiert, dass es in Luxemburg Straßen gibt, die für Radfahrerinnen und Radfahrer geradezu suizidal anmuten. Klassische Beispiele solcher Strecken, auf denen weit und breit kein Radweg existiert, finden sich im ganzen Land. Wer dort etwas Abstand zu den gefährlichen Straßenrändern hält, wird prompt angehupt – obwohl sich genau dort die meisten Schlaglöcher, Rinnen und Gullideckel befinden. Vorsichtige Radfahrer, die defensiv fahren, werden so zur Zielscheibe des Unverständnisses vieler aggressiver Autofahrer.
Luxemburgs Mobilitätsministerin erklärte im Interview: „Wir müssen das Vertrauen der Menschen in die

Verkehrssicherheit stärken.“ Sie hat recht. Doch Vertrauen entsteht nicht durch Worte, sondern durch konkrete Erfahrungen. Und die Realität auf unseren Straßen ist für Radfahrerinnen und Radfahrer ernüchternd – bisweilen lebensgefährlich.
Beispiel: Wer etwa mit dem Fahrrad von Mamer über Kopstal nach Schoenfels fährt, weiß, wovon ich spreche. Diese Strecke ist ein Paradebeispiel für Luxemburgs Flickenteppich-Radpolitik: kein Radweg, keine Markierung, kein Schutz. Umgekehrt endet in Schoenfels, aus Mersch kommend, plötzlich eine Velospiste mitten im Nichts. Von dort aus in Richtung Keispelt oder Kopstal–Mamer weiterzufahren, ist ein Himmelfahrtskommando: enge Kurven, aggressive Autofahrer, keinerlei Platz für Radler.
Radfahren als Mutprobe
Auch die Regel des Mindestabstands von 1,5 Metern beim Überholen ist keine Schikane, sondern eine lebenswichtige

Sicherheitsmaßnahme – die jedoch von vielen Autofahrern schlicht ignoriert wird. Wer als Radfahrer schon einmal erlebt hat, wie dicht ein leerer Bus, ein vollbeladener Lkw oder ein breiter Traktor an einem vorbeirast, weiß, wie entscheidend diese Regel ist. Ebenso häufig öffnen unachtsame Autofahrer ihre Tür, ohne nach hinten zu schauen – mit oft dramatischen Folgen.Als Radfahrer in Luxemburg braucht man heute vor allem eines: Mut. Mut, auf Straßen zu fahren, die nie für Fahrräder gedacht waren.
Mut, an Lkw vorbeizuziehen, deren Luftzug einen fast aus dem Gleichgewicht bringt.
Mut, Kreisverkehre zu durchqueren, die hierzulande zu wahren Überlebensprüfungen geworden sind.
Fahren Sie einmal mit dem Rad in einen „Rond-point“. Bleibt man aus Sicherheitsgründen auf der rechten Spur und will erst bei der zweiten oder dritten Ausfahrt abbiegen, wird man angehupt, geschnitten, bedrängt – oder im schlimmsten Fall sogar angefahren. Fährt man stattdessen in der Mitte wird einem ebenfalls die Vorfahrt streitig gemacht. Es ist ein Teufelskreis: Egal, wie man fährt, man macht es „falsch“ – zumindest in den Augen vieler agressiver Autofahrer.
Frau Backes betont, das Radfahren müsse „attraktiv und sicher“ werden. Das ist richtig. Doch solange Radfahrerinnen und Radfahrer auf vielen Strecken überhaupt keine Wahl haben, weil kein einziger Meter Radinfrastruktur vorhanden ist, bleibt diese Vision eine schöne, aber letztlich hohle Phrase.
Der Kampf um den Straßenraum

Das tägliche Miteinander im Straßenverkehr ist von Gereiztheit geprägt. Gehupe, Beschimpfungen und riskante Überholmanöver sind Alltag. Viele Autofahrer empfinden Radfahrer als Hindernis, nicht als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer. Dabei bleibt den Radlern oft gar nichts anderes übrig, als sich in den Verkehrsfluss einzureihen – weil sichere Alternativen fehlen.
In Luxemburg gilt noch immer das ungeschriebene Prinzip: Das Auto zuerst.
Zwar betont Backes, man wolle „die Verkehrswende gemeinsam mit den Gemeinden und Bürgern gestalten“. Doch viele Gemeinden blockieren oder verzögern Projekte, sobald Parkplätze oder Fahrspuren zugunsten von Radwegen weichen müssten. Tag für Tag sieht man: Es wird lieber eine Straße neu asphaltiert als ein Radweg gebaut. Dabei wäre beides möglich – mit politischem Mut und klaren Prioritäten. Doch die Wahrheit ist: Man scheut die Konfrontation. Luxemburg ist und bleibt ein Land der Autofahrer. Kaum ein Politiker wagt es, ihnen tatsächlich Raum zu nehmen, um Platz für Radfahrer zu schaffen.Was in anderen Ländern – etwa der Schweiz, Skandinavien oder den Niederlanden – längst selbstverständlich ist, bleibt in Luxemburg ein frommer Wunschtraum.
Geteilte Wege, geteilte Verantwortung
Obwohl in den vergangenen zehn Jahren zahlreiche neue Velospisten gebaut wurden, dienen viele dieser Wege heute als
Allzweckrouten. Vor allem in den warmen Monaten sind sie überfüllt mit Spaziergängern, die Radfahrer als lästige Störenfriede empfinden und ihrerseits auf ihr Recht pochen, ebenso wie mit Joggern oder E-Rollern. Wo auf Radwegen keine bauliche Trennung oder feste Barrieren existieren, missbrauchen zudem immer häufiger Autofahrer trotz „circulation interdite“-Schildern diese Wege als Abkürzung oder Freizeitstrecke.
Fakt ist: Autos, Fahrräder und Fußgänger sind in der Praxis weitgehend inkompatibel – so sehr sich der politische Wille bemüht, dieses Nebeneinander zu harmonisieren. Ein gutes Beispiel ist der Stadtpark: Als Fußgänger wird man dort oft von schnellfahrenden E-Velohs erschreckt, die sich die engen Wege mit anderen teilen müssen. Es hat bereits Unfälle gegeben – von den E-Tretrollern ganz zu schweigen. Solange Radwege nicht klar abgegrenzt und kontrolliert werden, bleiben sie Orte permanenter Konflikte statt sichere Räume nachhaltiger Mobilität.

Ein Land der Halbherzigkeit
Luxemburg liebt Pilotprojekte, Studien, Workshops und Strategiepläne – doch kaum etwas davon wird konsequent umgesetzt. Backes erklärte , sie wolle ein unterirdisches Fahrradparkhaus fördern – zweifellos ein guter Ansatz. Doch was nützt ein schickes Parkhaus, wenn der Weg dorthin einem Hindernisparcours gleicht? Solange man aus den Vororten oder vom Land gar nicht sicher bis in die Stadt gelangt, bleibt die schönste Infrastruktur letztlich reine Kosmetik.
Radfahrer bleiben Bürger dritter Klasse
Natürlich gibt es auch unter Radfahrern jene, die sich nicht an Regeln halten. Doch im Gegensatz zum aggressiven Autofahrer gefährden sie in erster Linie sich selbst. Denn im Falle eines Zusammenstoßes zieht der Radfahrer immer den Kürzeren.Luxemburg war nie ein echtes Fahrradland – und ist auch heute weit davon entfernt. Die angekündigten Maßnahmen sind kein Wundermittel, sondern allenfalls der Versuch, die Schwächeren im Straßenverkehr etwas besser zu schützen. Doch entscheidend bleibt: Ohne Rücksicht und Respekt wird kein Miteinander funktionieren.

Als Radfahrer ist man in Luxemburg Bürger dritter Klasse: Man wird übersehen, angehupt, geschnitten. Man steht an Ampeln ohne Radstreifen, fährt durch Dörfer, in denen ein 30er-Schild kaum Beachtung findet. Auf dem Land endet jeder Radweg – sofern überhaupt vorhanden – irgendwann abrupt. Wer dann weiterfährt, muss auf Straßen mit Autofahrer ausweichen, die weder Platz noch Geduld für Radfahrer übrig haben. Das hat nichts mit Lebensqualität zu tun – und noch weniger mit Verkehrswende. Es ist Rückschritt im modernen Gewand.
Worte reichen nicht mehr
Man glaubt Frau Backes gerne, dass sie die Dinge verändern möchte. Doch guter Wille allein genügt nicht. Wer das Radfahren fördern will, muss endlich den Mut haben, dem Auto Platz zu nehmen. Solange man meint, beides gleichzeitig fördern zu können – den Radverkehr und den unbegrenzten motorisierten Individualverkehr –, wird sich nichts ändern. Die „absolute Ambition“ der Ministerin wird verpuffen wie so viele politische Absichtserklärungen zuvor. Luxemburg braucht keine neuen Schlagzeilen über Pläne, sondern sichere, durchgehende und alltagstaugliche Radwege.



Ein weiterer Widerspruch drängt sich auf: Luxemburg genießt international den Ruf eines Landes mit großer Radsporttradition. Doch gerade die heutigen luxemburgischen Radprofis sind zu bedauern, wenn sie im eigenen Land trainieren möchten. Auf den sogenannten Velospisten ist das ohnehin kaum möglich, und auf den immer stärker befahrenen Sekundär- und Tertiärstraßen wird das Training zunehmend zu einem riskanten Unterfangen. Der motorisierte Verkehr hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen – selbst weit abseits der Hauptverkehrsachsen.
Vielleicht wäre es für Ministerin Backes aufschlussreich, einmal gemeinsam mit dem Unterzeichnenden mit dem Rad quer durchs Land zu fahren – ohne Eskorte, ohne Vorwarnung, einfach so, wie es tagtäglich viele Bürger tun. Die Realität auf zwei Rädern würde ihr dann eindrucksvoll vor Augen führen, wie groß die Kluft zwischen politischem Anspruch und tatsächlicher Situation ist. Für eine solche „abenteuerliche“ Fahrt wäre die “radfreundliche” Ministerin allerdings gut beraten, zuvor eine entsprechende Lebensversicherung abzuschließen.

Marc Thoma
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Erstens: EADS ist Rückschritt. Die Motorisierung und Demokratisierung des Straßenverkehrs in den 1960er Jahren wurde als Durchbruch zu viel mehr Freiheit erlebt. Die Heerschar radelnder Schmelzarbeiter war Vergangenheit.
Wie auch im Artikel ersichtlich, ist Radfahren heutzutage Sport und Freizeitbeschäftigung. Infrastrukturpolitik sollte ein wirtschaftliches Interesse verfolgen und nicht Hobbies finanzieren (auch die Leihräder der Gemeinden, die Unsummen verschlingen, dienen fast ausschließlich der Freizeitgestaltung).
Drittens: positive Diskriminierung (affirmative action) erreicht immer eines, nämlich das Gegenteil. Die Sonderrechte der Radfahrer sind Unfallursache Nummer eins und Haupterklärung für den schlechten Ruf der Radler.
Viertens: Die Luxemburger Topographie und der gute Ausbau des öffentlichen Transport machen Radfahren hierzulande unattraktiv und unnötig.
Letztens:E-Bike ersetzt Muskelkraft durch immer umweltunfreundlichen Strom und seinen im höchsten Maße umweltschädlichen Stromträger, die Batterie. Absurd.