»[…] – nur das Buch Kafka‘s hab ich mir schon jetzt, mitten in anderen Beschäftigungen, vorweggenommen. Ich habe nie eine Zeile von diesem Autor gelesen, die mir nicht auf das eigentümlichste mich angehend oder erstaunend gewesen wäre.« (Rainer Maria Rilke)
niemand konnte den Kampf des Einzelnen gegen übermächtige Systeme besser in Worte fassen als Franz Kafka. Dieser Einschätzung des Schriftstellers Kafka, des Rätselhaften seiner Zunft, den man bestimmt weniger im politischen Kontext vermuten würde, kann man angesichts der bestbekannten Entwicklung des scheinbar alternativlosen kapitalistischen Systems, das bekanntlich in Neoliberalismus im Sinne entarteter, unkontrollierbarer „Märkte“ ausartete, und das mit den uns allen bekannten Konsequenzen der Entmenschlichung, der Dehumanisierung, die immer mehr erkannt und kritisiert wird, eigentlich nur zustimmen. Genauso wie jenen, die sagen, dass der Kapitalismus ein System ist, das durch Konkurrenzdruck eine permanente Unterlegenheitsbedrohung erzeugt, die erfinderisch macht, um dann den technischen Fortschritt rücksichtslos voranzutreiben. Ach, fällt einem dazu nicht ein brandaktuelles Stichwort ein, sprich: die Digitalisierung? Die neben durchaus positiven Seiten eben auch und vielleicht besonders bedenkliche Risiken beinhaltet – die allerdings eher verharmlost werden…Cui bono? Wem zum Vorteil? Die ewige Frage…
Und damit zurück zu Kafka. Am 3. Juli 1883, wurde Franz Kafka in Prag geboren. Er starb im Alter von nur rund 40 Jahren im Jahr 1924 und hinterließ mit Romanen wie „Das Schloss“ und „Der Prozess“ ein großes Werk. Kafka, der auf Deutsch schrieb, gilt heutzutage als einer der bedeutendsten Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts. Für die Tschechen und ihr Selbstwertgefühl ist Kafka in etwa so wichtig wie Mozart für die Österreicher. In den Gebäuden, in denen er lebte und arbeitete, werden Touristen herumgeführt; Plätze, Straßen und Einrichtungen sind nach ihm benannt. Generationen von Schülern haben seine Werke gelesen, die hauptsächlich aus Fragmenten bestehen. Auch wenn eine umfassende Deutung seines literarischen Schaffens bis heute aussteht, haben Kafkas Werke dennoch die tschechische Politik stark geprägt. Kafka gilt als ein getriebener, sprunghafter Charakter, was man auch an seinen Werken erkennen kann. Er schrieb sie selten direkt fertig, schob eine andere Arbeit ein, änderte Teile, vernichtete ganze Manuskripte. Sein Name steht, so Literaturwissenschaftler, für das Dunkle, Existentiell-Grenzwertige, für das Absurde, für Schuld und Sühne, für ein kaputtes Vater-Sohn-Verhältnis, für Ausweglosigkeit. Doch er war ein besonderer Schriftsteller, der sich wie kein anderer Autor von Weltrang so wenig um das spätere Schicksal seiner Texte kümmerte, schrieb er doch immer aus dem Moment für den Moment, vollendete seine Texte über Nacht. Danach konnte mit diesen geschehen, was wollte, ganz gleich, ob man diese verbannte oder verbrannte. Kafka – nennt man seinen Namen, so gilt gleichwohl das Adjektiv kafkaesk, ein unergründliches Gefühl der Bedrohung, der Unsicherheit oder des Ausgeliefertseins, etwa angesichts einer im Dunkeln liegenden Macht. Ein Gefühl, das wohl so manchem Zeitgenossen in unserer schnelllebigen, viele überfordernden Zeit nicht unbekannt sein dürfte. Der Begriff kafkaesk – ein oft bemühtes Eigenschaftswort, das in direktem Zusammenhang mit dem Schriftseller steht. So sehen sich beispielsweise die bereits zitierten und weltbekannten, unvollendeten Werke „Das Schloss“ und „Der Prozess“ die Protagonisten einer undurchschaubaren, unerreichbaren Bürokratie ausgeliefert. Surreal oder absurd, kafkaesk eben, im heutigen Sprachgebrauch werden auch gewisse reale Situationen, Sachverhalte und Strukturen als kafkaesk beschrieben. Im Klartext: Kapitalismus, Neoliberalismus….EU? Unheilbar kafkaesk ? So mancher von uns kann persönliche „kafkaeske“ Situationen wohl aus persönlicher Erfahrung nachvollziehen…
Kafka beschäftigte sich sehr wohl mit der Problematik der Gesellschaft und das durchaus auch im politischen Sinne. Die Ausschließung aus der Gesellschaft, die Situation der aufgezwungenen oder selbsterwählten Isolation ist ein durchgehendes Thema Kafkas. Er stellt seine Helden als Vertreter der menschlichen Grundsituation dar und enthüllt deren Verhältnis zu sich selbst und zur Außenwelt. Dabei stellt Kafka diese in seinen Erzählungen und Romanen in einen bestimmten Lebenszusammenhang und zwar den der modernen, kapitalistisch geprägten Industriegesellschaft des 20ten Jahrhunderts. Was würde er heute wohl zur neoliberalen, digital orientierten Welt des Homo Digitalis des 21ten Jahrhunderts in seinen (natürlich zeitlich rein fiktiven) in einer Nacht zusammengeschriebenen Texten aussagen? Den Kapitalismus definierte er (cf. Janouch: Gespräche mit Kafka) als „ein System von Abhängigkeiten, die von außen nach innen, von oben nach unten gehen. Alles ist abhängig, alles ist gefesselt. Kapitalismus ist ein Zustand der Welt und der Seele.“ Nach Kafka und dessen genialer Einschätzung dieser zunehmend unmenschlicher werdenden Wirtschaftsweise – die durchaus noch weiter ausarten kann, wie wir Otto Normalos unserer Zeit leider wissen – bezeugt der Kapitalismus seine Gewalt darin, dass die Menschen ihn so sehr verinnerlichen, dass sein „System von Abhängigkeiten“ als unentrinnbarer Bann, eben als „Zustand der Welt und der Seele“ erscheint. Kafka beschreibt also die entfremdete Existenz des Menschen in einer Gesellschaft, die von anonymen Institutionen und Systemstrukturen beherrscht wird. Die Gesellschaft in der Kafka selbst lebte, kam ihm als eine fremde Macht entgegen, die ihn erschreckte und bedrohte, er selbst blieb demnach ein Fremder. Kafkas Kritik an der Gesellschaft lässt sich in dieser Hinsicht nach literaturwissenschaftlicher Einschätzung mit der Marxschen Theorie in Verbindung bringen. Kafka ist allerdings weniger idealistisch als Marx, zeigt er doch keine ideale Gesellschaft auf Erden auf und sät im Menschen keinerlei Hoffnung auf Erlösung in dieser Welt und in diesem Leben. Stattdessen versucht Kafka, die ausweglose Situation des Menschen zu enthüllen.
Kapitalismus, Neoliberalismus, Digitalisierung, im Sinne Kafkas gelesen: „Lass Dich vom Bösen nicht glauben machen, du könntest vor ihm Geheimnisse haben.“ Wie viele moderne Zeitgenossen wissen in ihrer vermeintlichen „ Bequemlichkeit “ immer noch nicht, wie diese digitale Welt im Sinne Orwells‘ „1984“ funktioniert….
Der Schreiber dieser Zeilen beschäftigt sich bewusst kritisch mit der Digitalisierung. Ist die Digitalisierung eine große Chance oder ein großes Risiko für unsere Gesellschaft? Kann ihr viel gepriesenes Potenzial dazu beitragen, die Welt von morgen sozial gerechter und nachhaltiger zu machen?
Oder ist sie, in diverser Hinsicht…kafkaesk?
Frank Bertemes