“In dem Begriff soziale Marktwirtschaft liegt die Betonung auf dem Wort sozial.”
Julius Raab
Julius Friedrich Raab (* 29. November 1891 in St. Pölten, Niederösterreich; † 8. Januar 1964 in Wien) war ein österreichischer Politiker und Bundeskanzler der Republik Österreich (1953–1961).
Es ist offensichtlich, dass innerhalb der CSV, jedoch auch in der – wie befürchtet sehr wirtschaftsliberalen – Regierung mit den Liberalen – was an sich wenig verwundern dürfte- eine nicht mehr zu leugnende Auseinandersetzung um die Soziale Frage aufgelebt ist. Eigentlich kaum verwunderlich aufgrund der Faktenlage, dass immer mehr Menschen, besonders jedoch Kinder und alte Menschen, mit dem Thema Armut – Stichwörter Kinder– und Altersarmut – konfrontiert sind. Auffällig ist dabei, dass sich besonders die CSV dieser bitteren Problematik anzunehmen vollmundig deklariert hat. Doch was ist bisher konkret passiert? Wie verwunderlich ist es, dass ausgerechnet in diesem Kontext heuer die Soziale Frage aufgrund der diesbezüglichen Stellungnahmen der (noch verbleibenden) ehrlichen Sozialpolitiker innerhalb der stärksten Partei des Landes, die sich „christlich-sozial“ nennt, im öffentlichen Diskurs so heftig thematisiert wird? Würde man das Thema nämlich tatsächlich, meint realpolitisch betrachtet, so ernst nehmen, wie man es aufgrund entsprechender Ankündigungspolitik ernstnehmen müsste, dürfte eine derartigen Debatte eigentlich nie auftauchen, oder? Besonders aufgrund der (leeren)Versprechen des Regierungschefs himself….
Das Soziale, die Soziale Frage. Und ja, da tauchen durchaus neue Varianten des Begriffs auf: In den letzten Jahren hört man öfters den Begriff „Neue Soziale Frage“. Damit sind die sozialen Probleme gemeint, die unsere heutige Gesellschaft kennzeichnen. Dazu zählen neue Formen der Armut, das Wohnungsproblem, die Ausgrenzung bestimmter Gruppen der Gesellschaft oder auch die Schwierigkeiten, die Kinder, Jugendliche und alte Menschen oder auch alleinstehende Mütter haben. Das alles gilt durchaus auch für unser Luxusländchen, das (anscheinend) besonders „reich“ zu sein scheint – wenn man gewissen Rankings so glauben darf…Nur: die gelebte Realität sieht sehr wohl sehr viel anders aus.
Auch wenn CSV- Fraktionspräsident Marc Spautz in seinen diversen Interviews die hochaktuelle „S-Frage“ innerhalb seiner Partei trotz seiner doch diesbezüglich bedenklichen Andeutungen, die bei genauer Lesart doch überdeutlich sind, zu relativieren versucht, so ist dennoch etwas klar: Das S scheint heuer ebenso wie das C im Namen der Volkspartei zu verblassen – um noch freundlich in der Ausdrucksweise zu bleiben. Die neoliberale Marschrichtung der sich einst an der christlichen Soziallehre orientierenden Partei ist jedenfalls offensichtlich. Und genau diese Bedenken drückt der gute, alte Gewerkschaftsmann Marc Spautz doch aus, oder etwa nicht? Er, der letzte der Mohikaner der sozialen Linie der CSV? Sind die verbleibenden Sozialpolitiker innerhalb der CSV tatsächlich nur noch Sozialromantiker, die sich zwar noch nach außen hin dementsprechend äußern dürfen, jedoch parteiintern nicht mehr ernstgenommen werden? Auch wenn die Fraktion, so Spautz, „nicht der Gesangverein der Regierung“ sein soll, so muss man – Stichwort: Fraktionszwang – sich doch fragen, wie viele vorgetragene Misstöne sich vereinzelte Sänger denn noch so erlauben dürfen… Denn dass die Fraktion egal wie immer der Gesangverein der Regierungspartei CSV zu sein hat, dürfte trotz der aufmüpfigen Aussage ihres Fraktionschefs wohl jedem bekannt sein…
Egal wie: Wer Sozialpolitik sagt, denkt gleichzeitig an die politische Vorgabe der Sozialen Marktwirtschaft, die auch hierzulande bisher ganz klar das entsprechende politische Handeln bestimmte – und das war immer gut so! Die Soziale Marktwirtschaft, so eine vereinfachte Definition des Begriffs, ist eine Wirtschaftsordnung, die freien Wettbewerb und unternehmerische Freiheit mit sozialem Ausgleich verbindet. Ziel ist es, wirtschaftliches Wachstum zu fördern und gleichzeitig soziale Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Daher greift der Staat regulierend ein, um Marktmacht zu begrenzen und soziale Ungleichheiten abzumildern. Die Wirtschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft entstand nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Politisch fällt dabei unweigerlich der Name des damaligen CDU- Wirtschaftsministers Ludwig Erhard. Es ging ihm um eine Wirtschaftsordnung, die Freiheit und Wettbewerb mit sozialem Ausgleich verbindet. Wichtige Grundlagen dafür legte der Ökonom Walter Eucken, der zur sogenannten Freiburger Schule gehörte. Er betonte die Bedeutung von Wettbewerb und staatlicher Kontrolle zur Sicherung fairer Bedingungen. Euckens Ideen beeinflussten Erhard stark bei der Umsetzung seiner Wirtschaftsordnung.
Besonders die christlich-soziale Volkspartei – um wieder auf unser Ländchen zurückzukommen – müsste sich an ebendiese Vorgaben der Sozialen Marktwirtschaft erinnern, ein Begriff, als dessen Urheber Alfred Müller-Armack, ein deutscher Nationalökonom und Kultursoziologe, gilt. Die Soziale Marktwirtschaft war für den Schöpfer des Begriffs eine „irenische Formel“, eine Bezeichnung, die von dem griechischen Wort für Frieden abgeleitet ist. Dabei geht es nicht nur um den wirtschaftlichen Erfolg, sondern immer auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die den sozialen Frieden beinhaltet, der, neben der direkten Gefahr für die Demokratie, ein glasklarer Vorwurf an die immer deutlichere Vorherrschaft des Neoliberalismus darstellt.
Bedenklich ist, wenn der Fraktionspräsident der CSV sich tatsächlich parteiinternen Kritiken ausgesetzt sieht, wenn er sich entsprechend und im Respekt seiner gewerkschaftlichen Herkunft klar und deutlich für das S im Parteinamen, und das auch bei einem nicht üblichen Auftritt eines CSV – Mannes beim Kongress des OGB-L, einsetzt.
Ist das alles nicht schon ein klarer Beweis dafür, wie ernst es um ebendieses S der Christlich-Sozialen Volkspartei steht? Das Soziale ist in der Tat in sehr ernst zu nehmender Gefahr…