“Nur wer sicher ist, dass er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will – dass er all dem gegenüber „dennoch!“ zu sagen vermag: Nur der hat den „Beruf“ zur Politik.”
Max Weber
Die Bedeutung von Inszenierung und Ausstrahlung in einer demokratischen Gesellschaft ist ein weitgehend wenig kommentierter Aspekt der Politik. Sie alle hatten es: Barack Obama, John F. Kennedy, Willy Brandt, Nelson Mandela. Ohne Kommentar zur jeweiligen Person, wohlverstanden. Jeder hat eine Vorstellung davon, was es ist, und doch ist es analytisch nicht leicht zu fassen: politisches Charisma.
Für den Soziologen Max Weber (1864 – 1920) waren Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß die wichtigsten Qualitäten eines guten Politikers. Und das gilt doch eigentlich heute noch. Nur dass der kritische Beobachter bei so manchen modernen Politprotagonisten so seine Bedenken hat. Max Weber trat zu seiner Zeit für die neu aufzubauende parlamentarische Demokratie ein. Dafür warb er in seinem Vortrag „Politik als Beruf“, den er für die Buchform erweiterte. Gleich eingangs stellte er fest, dass Politik mit Macht zu tun hat. In jedem Staat gibt es Herrscher und Beherrschte. Und ein Staat funktioniert nur, wenn sich die Beherrschten den Herrschern fügen. Nichts Neues an sich – und das dürfte uns in den heuer bekannten Zeiten eines „C-Virus‘, der uns alle zu Maskenträgern und „sozial Distanzierten“ degradiert hat, wohl hochaktuell bekannt sein. Machtinstinkt, der heute manchmal negativ gesehen wird, gehörte für Weber jedenfalls zur Grundausstattung eines Politikers. Wichtig ist nur, wie man damit umgeht. Auch das ist im aktuellen Kontext ein durchaus interessanter Aspekt.
Einem guten Politiker, so Weber, geht es nicht um Geld – im besten Fall ist er materiell abgesichert und hat keine finanziellen Interessen bei seiner Arbeit. Er lebt leidenschaftlich für seine politische Sache. Das bedeutet allerdings nicht, große Gefühle in die Politik zu tragen oder blind moralischen Idealen zu folgen. Schiere Gesinnungsethiker und die Revolutionäre um 1918/19 waren für Weber Banausen oder Windbeutel. Dagegen forderte er Leidenschaft im Sinn von Sachlichkeit: Hingabe an eine „Sache“. Im Herbst 1919 übernahm Max Weber nach langer Pause einen Lehrstuhl für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie in München. Doch schon am 14. Juni 1920 starb er mit 56 Jahren an einer Lungenentzündung. Bereits zu Lebzeiten war Weber ein angesehener Wissenschaftler, der als Mitbegründer der Soziologie gilt. Er prägte die moderne Wissenschaft auch mit der Forderung nach „Werturteilsfreiheit“. Zu seiner Zeit war es üblich, dass Professoren ihr Thema aus persönlicher Sicht vortragen, ohne andere Positionen zu erwähnen. Weber forderte, dass Wissenschaft nicht bewertet, sondern möglichst objektiv darstellt: rational, faktenbasiert und abwägend. Heute ist Max Weber einer der bekanntesten und am meisten zitierten Sozialwissenschaftler.
Was nun die Person des Politikers betrifft, so wünschte sich Weber in führenden Positionen Menschen, die „Charisma“ haben. Das griechische Wort Charisma bedeutet eine Gnadengabe. In der jüdisch-christlichen Tradition bezeichnet man damit ein Gottesgeschenk: Weisheit, Wundertätigkeit oder Überzeugungskräfte. Egal wie: Charisma ist neben Gesinnungs- und Verantwortungsethik ein weiterer Begriff, den Max Weber in die politische Theorie einführte. Charismatische Persönlichkeiten haben eine besondere Ausstrahlung, die Menschen mitreißen kann. In der Politik gibt es heute leider nur wenige, die diesen Kriterien gerecht werden können. Um in Deutschland zu bleiben, sind die Zeiten eines Willy Brandt, eines Helmut Schmidt, eines Franz Josef Strauß oder eines Herbert Wehner offensichtlich vorbei. Wie einst auch hierzulande jene eines großen sozialistischen Humanisten Robert Krieps, eines sozialen Liberalen wie Gaston Thorn oder auch einer Colette Flesch, eines engagierten Linken wie René Urbany oder eines linken Philosophen in der Politik, André Hoffmann, oder auch eines sozialpolitisch orientierten Europäers wie Jean-Claude Juncker, es einmal waren, alle Namen völlig unabhängig von ihrer jeweiligen Parteizugehörigkeit. Eines vereinte sie: ihr Charisma, ihre besondere menschliche Ausstrahlungskraft. Man könnte durchaus noch so manche Namen nennen – bekannt sind uns in dem Sinne ebenfalls diverse reine Lokalpolitiker*innen, die für ihr glaubwürdiges Engagement und (eben) ihr Charisma als Persönlichkeiten bekannt waren. Es geht demnach ebenfalls um eine Qualität in der Politik, um eine menschliche Eigenschaft im Sinne des Soziologen Max Weber, die immer mehr abhanden zu drohen scheint, nämlich jene der charismatischen Persönlichkeiten. Politiker*innen, die ihr Charisma gewinnbringend für das Gemeinwohl einzusetzen bereit sind und nicht um blasse, jederzeit austauschbare Politfiguren, die nichts weiter als Spielbälle und Marionetten des Kapitals im besonderen „Spiel“ des Neoliberalismus sind, und deren langweilige Persönlichkeiten, oder aber als reine Politblender agierend, ihre völlige Unglaubwürdigkeit jedoch mit ihren Sonntagsreden, die bei genauer Betrachtung nichts weiter als warme Luft sind, tatsächlich – wahltechnisch belohnt – ihre egozentrischen Polit-Spielchen wohl auch die nächsten Jahre noch weitertreiben werden. Alles eigentlich nur ein trauriges Paradebeispiel der Gleichgültigkeit der heuer herrschenden Zuschauerdemokratie, die diesem Polittheater jedweden Charismas völlig unverdächtiger Politprotagonisten, egal welcher politischer Couleur, doch tatsächlich ihr oft theatralisches Auftreten und ihr politisches Überleben weiterhin erlauben wird.
Demzufolge sind wirkliches, authentisches Charisma, politische Courage und Konsequenz, wahre Persönlichkeit eben, im Gegensatz zu dem, was uns der Soziologe Max Weber völlig zurecht sagen wollte, wohl heutzutage und in Zukunft in der Abteilung „Politik“ einer zunehmend digital geprägten Welt, die von Selbstdarstellung, blendendem Auftreten, elektoral wertvoller Präsenz in den sozialen Medien oder sonstiger Politshows geprägt sein wird, kaum noch angesagt – im Gegenteil!
The show must go on …
Oder doch nur eine übertriebene Darstellung eines unverbesserlichen Kritikasters?
Frank Bertemes