“Der Einsame ist nur der Schatten eines Menschen.” – George Sand
Europa, gar die ganze Welt ist seit einem Jahr im Krisenmodus. Unser „gemeinsames Haus Europa “ brennt! Eine Metapher, die man durchaus vertiefen kann. Das gemeinsame Haus, mit einer heimeligen, meint einer behaglichen, gemütlichen, wohligen Atmosphäre – eine pure Illusion! So manche denken dabei eher schon an eine abbruchreife Hütte, als an ein heimeliges Haus, das seinen Einwohnern Schutz und Sicherheit bieten soll. Dies ob aller Missstände, die Europas Völker, die in diesem „gemeinsamen Haus Europa“ zusammenleben sollen, immer mehr in deren Zweifeln bestätigt. Europa im Krisenmodus – diesmal einer Krise der besonderen Art. Als ob es nicht so schon so schlimm genug wäre! Eine Dauerkrise der EU, verschlimmert durch die heuer nun bereits ein Jahr währende Pandemie, die uns Normalos in Angst und Schrecken versetzt und uns unserer Freiheit beraubt hat. Eine sanitäre Krise, die so manche allerdings bestens arrangiert. Europa und seine Kommission: ein Dauerbrenner der Kritik. Mit einer Präsidentin unter Dauerbeschuss. Wen kann es wundern, wenn man Kommentare liest, in denen dieser „christlichen“ Politikerin und anderen Mitgliedern ihrer Kommission Versagen, Missmanagement und Inkompetenz vorgeworfen wird? Denn als Ende vergangenen Jahres die ersten Impfungen gegen dieses „Coronavirus“ begonnen hatten, verfiel Ursula von der Leyen wieder einmal ins Schwärmen. „Es ist Europas Moment. Wir schützen gemeinsam unsere Bürger“, zwitscherte sie begeistert auf Twitter – man wäre zu einem lauten Auflachen geneigt, wäre die Situation nicht so ernst. „Die EU-Kommissionspräsidentin liebt solche großen Formulierungen, die mitunter ins Pathetische abdriften. Sie ist eine Politikerin, die kontinuierlich nach oben gestiegen ist und ihr eigenes Ding macht. Ehrgeizig und ausgestattet mit beeindruckenden Ellbogen und viel Sinn für den öffentlichen Auftritt.“ So eine deutliche Einschätzung eines kritischen Journalisten.
Viele Menschen leiden – vor allem psychisch. Europa versinkt zunehmend in Vereinsamung. Das nicht nur ob eines administrativen Apparates, mit dem niemand mehr etwas Konkretes anfangen kann, und einer Kommission, die immer abgehobener daherkommt, die den Kontakt zum Fußvolk längst und noch immer mehr verloren hat. Eine Kommission, die als EU–Regierung, als Verwalter des „gemeinsamen Hauses“, heuer nur mehr ihre absolute Unglaubwürdigkeit unter Beweis stellt, Stichwort: Pandemie. Beispiel: Impfungen. Oder, so ein Kommentar, „Über das Versagen der EU in der Pandemie.“ Die Gemeinschaft der EU-Staaten hätte die sanitäre Krise in der Tat nutzen können, um den Europäern eine neue Geschichte über sich zu erzählen. Eine Geschichte, in dem die EU-Bürger einen hautnahen Nutzen dieser „Gemeinschaft“ hätten erfahren dürfen, etwa durch eine konzertierte, durchdachte und gerecht organisierte Impfkampagne. Sofern man als Mensch überhaupt dazu bereit sein sollte, sich ob aller (berechtigten?) Bedenken, auch impfen zu lassen – versteht sich. Doch der Flickenteppich an Corona-Maßnahmen und die misslungenen Impfbestellungen könnten die EU in eine neue Sinnkrise führen – nein, haben das doch schon längst…
Eine der menschlichen Konsequenzen: die Einsamkeit, dem unfreiwilligen Alleinsein, der Kontaktarmut. Für Einsame ist die Welt bekanntlich ein bedrohlicher Ort, die Einsamkeit ein furchtbares Gefühl – tabuisiert natürlich, man will nichts darüber hören, wenig darüber reden. Besonders dann, wenn man selbst davon betroffen ist. Man zieht sich zurück. Ein Thema, das im Kontext dieser Pandemie ebenfalls wissenschaftlich analysiert und diskutiert wird. Die Einsamkeit: die weltweite Krise dieses Jahrhunderts, des einsamsten, das wir je erlebt hätten, so eine mittels wissenschaftlicher Untersuchungen belegte, dramatische Feststellung. Dabei ist zu beachten, dass Einsamkeit nicht nur alte Menschen betrifft – eigentlich wenig verwunderlich in einer digital entfremdeten Welt, in der die Vereinsamung des Einzelnen generell immer mehr zunimmt. Dazu muss man noch präzisieren, dass das „Alleinsein“ ein Zustand ist, den man selbst wählt, während die Einsamkeit ein Gefühl ist, das man sich nicht aussucht. Der Mensch als soziales Wesen hat im Prinzip Sehnsucht nach Nähe, nach Gemeinschaft, nach Zuneigung, nach Intimität und Sexualität. Die Einsamkeit ist nicht nur ein Problem im direkten Familien – oder Freundeskreis, sondern auch das Gefühl, von Nachbarn, vom und im Arbeitsleben ausgeschlossen, ja ignoriert zu werden. Zusätzlich wird immer mehr moniert, dass man sich auch von der eigenen Regierung im Stich gelassen empfindet – in dem Sinne ist Einsamkeit nicht nur persönlich, sondern auch politisch eine ernste Problemstellung. Und gerade dieses Gefühl ereilt so manchen Zeitgenossen im Gesamtkontext dieser Pandemie, die heuer mehr als ein ganzes Jahr schon dem politischen Krisenmanagement im permanenten Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit unterliegt und notgedrungen auch von jenen beachtet wird, die sich generell nicht für Politik interessieren.
In diesen Zusammenhang passen die Aussagen der britischen Ökonomin, Professorin und Autorin Noreena Hertz, die sich seit fast zwei Jahrzehnten mit der Globalisierung und ihren Folgen beschäftigt. In ihrem neuesten Buch „The Lonely Century“ schreibt sie über Einsamkeit als weltweite Krise, über die Pandemie und ihre Konsequenzen – Homeoffice, Isolation, Entfremdung. Die Auswirkungen von Covid auf unsere Psyche, mit der sich eine Reihe neuer Studien beschäftigen, die aufzeigen, dass vor allem Jugendliche, Frauen und Geringverdiener am meisten darunter leiden. Neben der Aufforderung, die Handys wegzulegen, gilt ihre schlichte Empfehlung, „wieder netter zueinander zu sein und die Freundlichkeit anderer wieder zu schätzen.“ Um gezielt auf das Problem der Einsamkeit hinzuweisen, startete eine Frau in Wales eine simple Aktion: sie druckte Schilder mit der Aufschrift „Reden Sie mit mir!“ und verteilte sie auf Parkbänken. Der Gedanke: Einsame Menschen, die sich mit jemandem austauschen wollen, können nicht wissen, ob ihr Banknachbar gerade Lust zum Zuhören hat oder nicht. Wer sich auf eine dieser Bänke setzte, signalisierte damit Bereitschaft zum Gespräch. Ein Beispiel für kleine Dinge mit viel Wirkung, ein Signal für Mitmenschlichkeit, gegen die Vereinsamung mittels eines simplen Gesprächs. Die Autorin nennt weitere Beispiele für Betriebe und Regierungen, gegen die Vereinsamung aktiv zu werden, weil der volkswirtschaftliche Schaden enorm zu werden droht. Einsame Menschen sind weniger produktiv und öfter krank, politisch sind sie anfälliger für populistische Ideen und demnach Opfer rechtsextremer Parteien. Die EU – Staaten brauchen, so wie Großbritannien, ein Ministerium für Einsamkeit.
Einsamkeit ist demnach ein sehr ernstes Problem, das man aus vielerlei Gründen eben auch politisch bekämpfen muss.
Frank Bertemes